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Botschaften in Hülle und Fülle

Zu Besuch in einer Postagentur, Umschlagplatz für freudige, traurige und belanglose Mitteilungen

Als Überbringer der frohen Botschaft, dass Gott Mensch wurde, gehören Engel in die Weihnachtszeit. Auch irdische Boten sind zu Weihnachten besonders gefragt. Zu keiner Zeit muss die Post so viele Briefe, Karten und Päckchen transportieren wie im Advent.

Borges Neubauer in der Postagentur von Glashütte. Im Hintergrund sind seine schönsten Postkarten zu erkennen.

"Im Dezember ist Stress", bestätigt Borges Neubauer, der seit zwei Jahren die Postagentur im erzgebirgischen Glashütte betreibt. Man merkt ihm die erhöhte Anspannung nicht an. Für jeden, der seinen kleinen Laden neben dem Uhrenmuseum betritt, hat er einen freundlichen Blick oder ein gutes Wort, für manchen am ersten Werktag nach dem 6. Dezember auch eine "Nikolaus-Tasse" heißen Kaffee. Viele Kunden kennt er persönlich, nicht zuletzt durch seine Mitarbeit im Stadtrat und im Pfarrgemeinderat.

Meistens weiß Borges Neubauer nicht, ob die Briefe, die er entgegennimmt oder aushändigt, gute oder unangenehme Botschaften enthalten. Die unangenehme Post ist leichter zu erkennen. Wenn beispielsweise ein Inkasso-Unternehmen als Absender angegeben ist, ist klar, dass nichts Gutes zu erwarten ist. Menschen einen solchen Brief übergeben zu müssen, lässt ihn nicht unberührt. Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge verschicken Behörden im Dezember keine unangenehmen Briefe. Die Rentenversicherungsanstalt hat sich in diesem Jahr nicht daran gehalten, hat der Leiter der Postagentur mitbekommen.

Rund 300 mal am Tag öffnet sich die Tür der kleinen Postagentur, in der Adventszeit noch deutlich häufi ger. Es wird, gerade vor Weihnachten, viel geschrieben in Glashütte. Allerdings sind es vorwiegend die Älteren, die noch Briefe und Karten schicken. Die Jüngeren senden sogar ihre Weihnachtsgrüße immer häufi ger per E-Mail. Auch wenn Borges Neubauer selbst eigentlich noch nicht zu den Alten zählt: Er hat viele Freunde und Bekannte, mit denen er Briefkontakt hält. Die schönsten Karten, die er geschickt bekommt, hängt er an einer Pinnwand im Laden auf. "Wenn ihr viel schreibt, kriegt ihr auch viel Post", sagt er Leuten, die staunend vor dieser Wand stehen.

Es gibt in der heutigen Welt zu viele Botschaften, ist Borges Neubauer überzeugt. Als er kürzlich nach längerer Pause wieder einmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war, ist ihm beispielsweise aufgefallen, welche Belanglosigkeiten seine Mitreisenden unentwegt per Handy mitteilten. Was man sich per Brief sagt, ist seiner Beobachtung nach meistens doch gehaltvoller. Seine Bekannten akzeptieren, dass man mit ihm nicht per E-Mail kommunizieren kann. Bei einer Segeltörn im vorletzten Sommer hat er gelernt, wie man eine SMS schickt. Mittlerweile hat er es aber wieder vergessen.

Die Weihnachtspost an seine ausländischen Briefpartner hat der schreibfreudige Postagenturbetreiber schon erledigt. Kleine Räuchermänner hat er seiner selbst gestalteten Weihnachtskarte in diesem Jahr beigefügt. Ein Räuchermann, den er einmal nach Irland geschickt hat, steht zu seiner Freude heute in Japan, weil die Adressatin ihn an eine Japanerin weiterverschenkt hat. Die Verbindung mit Menschen in aller Welt mag er an seiner Arbeit besonders. Er hat sich schon immer für Geographie interessiert, und obendrein freut es ihn, wenn er Menschen mit seinen Kenntnissen über internationale Postregelungen weiterhelfen kann. Wenn etwa jemand eine Salami in die USA schicken will, wendet Borges Neubauer mit dem Hinweis auf die strengen Zollbestimmungen dieses Landes Ärger gleich von vornherein ab. Die wachsende Zahl der Auslandsbriefe und -päckchen hat für ihn aber auch eine traurige Seite. Die Einwohnerzahl in Glashütte hört trotz der dort ansässigen Uhrenfabrik nicht auf zu sinken. Viele jüngere, gut ausgebildete Einwohner der erzgebirgischen Kleinstadt fi nden im Ausland Arbeit und werden nach einiger Zeit dort sesshaft. Immer öfter sind im Ausland lebende Kinder und Enkel die Empfänger der Christstollen, die vor dem Nikolausfest von Glashütte aus verschickt werden.

Fast jeden Tag gehen Briefe an den Weihnachtsmann über den Ladentisch der Postagentur, gerade hat er einen abgestempelt, der an eine schwedische Adresse gerichtet ist. Danach steckt er einen irregeleiteten Brief an das Christkind in Engelskirchen in einen neuen, größeren Umschlag. Da die Postleitzahl von Engelskirchen bis auf die erste Ziffer identisch ist mit der von Glashütte, landen immer wieder Irrläufer in seiner Agentur.

Auf Weihnachten freut er sich. und das nicht nur, weil es ein wichtiges christliches Fest ist. Der größte Stress ist dann erst einmal vorbei. Der Postagentur-Inhaber genießt es, an den Feiertagen allein zu sein, in aller Ruhe und "auf jeden Fall ohne Geschenke- Orgie".

Von Dorothee Wanzek

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