Eine komplizierte Geschichte
Zum Grab des heiligen Norbert im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg
Magdeburg. Die Geschichte des Magdeburger Grabes des heiligen Norbert gibt auch im 875. Jahr seines Todes weiterhin Rätsel auf. Ein Vortrag an historischer Stätte machte dies deutlich.
Hat die Memorialstätte für den heiligen Norbert von Magdeburg jemals offen in der Klosterkirche Unser Lieben Frauen in Magdeburg gestanden oder stand sie immer in einer Krypta? Sind die Reliquien, die 1626 von Magdeburg nach Prag überführt wurden, wirklich die sterblichen Überreste Norberts? Fragen, die im 875. Todesjahr des heiligen Norbert nicht abschließend zu beurteilen sind, standen im Mittelpunkt einer Veranstaltung in Magdeburg.
Es sei doch immer schön, an genau dem Ort, über den man redet, seinen Vortrag halten zu können, sagt Andreas Hornemann. Der Kunsthistoriker schiebt sein Mikrofon beiseite, macht drei Schritte nach hinten, dreht sich wieder um und zeigt auf den Boden. "Genau hier drunter liegt der Sarg." Ein 2,20 Meter langer Steinsarg aus dem zwölften Jahrhundert, eingefasst in einen jüngeren Altar: 1,67 Meter breit, 1,29 Meter lang, 1,20 Meter hoch. Über dem Kopfteil besitzt er eine Öffnung, einst mit einem Deckel zu schließen - Zeichen dafür, dass er als eine sogenannte Berührungsreliquie diente. Daran gibt es keinen Zweifel. Umso größere dafür aber, wenn es um seinen kostbaren Schatz, die sterblichen Überreste des Heiligen Norbert, die er bis zum 3. Dezember 1626 behütete, und wenn es um die wechselvolle Geschichte der Kirche geht, die über dem Sarg aufragt.
Etwa 50 Magdeburger sind an diesem Abend gekommen, um Andreas Hornemann, einem ausgesprochenen Kenner des Klosters Unser Lieben Frauen, in dessen Kirche sich das Grab befindet, zuzuhören, um ein wenig mehr Klarheit im verzwickten Dunkel der Geschichte zu erlangen.
Die Materie ist kompliziert, die Quellen spärlich. In großer Sorgfalt hat Hornemann sie aufgearbeitet und zusammengefügt. Ein kohärentes Bild ergeben sie aber nicht. Hornemann spricht daher auch nicht von Gewissheiten, sondern von logischen Schlussfolgerungen. Deren zwei legte er an diesem Abend dar.
Norberts Sarg stand vermutlich in einer Krypta
Zu der Frage, ob das Grab Norberts jemals offen innerhalb des Kirchenraums in einem zwei Meter eingetieften Bereich vor dem Kreuzaltar gestanden hat, bezieht er klar Stellung. "Diese These, die einige Forscher in den letzten Jahren vertreten haben, halte ich für erstaunlich und nett. Sie ist aber unlogisch." Die Vertreter dieser Ansicht beziehen sich auf eine Zeichnung der Kirche aus dem Jahr 1709 und auf ein handschriftliches Inventar, das Mitte des 17. Jahrhunderts geschrieben wurde und das von einem "verlohren Dach" spricht, welches über das Untergewölbe des Chores gesetzt worden sei. In der Skizze der Kirche, auf der der Sarg des heiligen Norbert im offenen Kirchenraum westlich des Chores zu sehen ist, gebe es einige Ungereimtheiten, sagte Hornemann. Sie ließen gar die Frage aufwerfen, ob der Zeichner die Magdeburger Kirche wirklich kannte. Dem Interpretationsvorschlag des Textes, in der Beschreibung "verlohren Dach" eine Art Baldachin zu sehen, kann der Kunsthistoriker ebenfalls nicht folgen. Vielmehr sei in dem Inventar von einem Untergewölbe die Rede, was eindeutig auf eine feste Überdachung schließen lässt. Ein weiters Indiz: Ein Text belege, dass der Sarg auch 1721 in einer Krypta stand.
Noch diffiziler wird das Studium der Quellen, wenn es um den zweiten Streitpunkt der Forschung, um die Echtheit der Reliquien des heiligen Norbert, die 1626 von Magdeburg nach Prag übertragen wurden, geht. Durch einen Umbau der Kirche und einer damit einhergehenden Verschiebung des Kreuzaltares existiert eine Verwirrung, die nicht gänzlich aufzulösen ist. Sicher ist, dass der Chorraum der Kirche für die immer größere Anzahl an Prämonstratensern in Magdeburg zunächst vergrößert und später wieder verkleinert worden ist. Die Frage ist allerdings, wann dies genau geschah.
Zeugen, die am 3. Dezember 1626 bei der Umbettung der Reliquien des heiligen Norberts anwesend waren, haben beschrieben, dass sie unter dem Kreuzaltar lagen. Wenn der Chor zu diesem Zeitpunkt noch bis ans Langhaus der Kirche ragte, sind die Überreste des Heiligen nach Prag gelangt. Wenn der Chor allerdings schon wieder zurückgebaut war und sich der Kreuzaltar damit nicht mehr im Zentrum der Kirche, sondern im Übergang zum Chorraum befand, sind die Überreste von Erzbischof Heinrich von Assel, dessen Grab sich im 17. Jahrhundert an dieser Stelle befand, aus Magdeburg entschwunden.
Norberts Reliquien kamen wirklich nach Prag
Andreas Hornemann geht davon aus, dass die richtigen Reliquien gefunden worden sind. "Die Quellen sprechen dafür, dass der Umbau erst nach 1626 stattgefunden hat." Er gebe aber zu, dass seine Argumentation primär auf Indizien beruht.
Weiteren Aufschluss könnten Dokumente geben, die im Zuge der Freilegung des Grabes zwischen den Jahren 1975 und 1977 angefertigt wurden. Hornemann versucht seit Jahren, an die Unterlagen zu kommen. Der ehemalige Denkmalpfleger, der sie mittlerweile privat besitzt, hält sie aber unter Verschluss. Es ist derselbe Mann, der Ende der 1970er Jahre eine Publikation veröffentlichte, in der er die These vertritt, dass es eine Phase gegeben hat, in der der Sarg Norberts nicht in einer Krypta, sondern direkt in der Kirche gestanden hat. Andreas Hornemann widerspricht dieser These.
Von Kilian Trotier