Gott in den Ärmsten begegnen
Vor 25 Jahren kamen Mutter Teresas Missionarinnen der Nächstenliebe nach Karl-Marx-Stadt
In der Ostberliner St.-Adalbert- Gemeinde hatte eine Gruppe Unentwegter seit sechs Jahren jede Woche um Ordensschwestern gebetet, die bei der Betreuung der vielen alten alleinstehenden Gemeindemitglieder helfen könnten. Der Berliner Weihbischof Johannes Kleineidam betete sogar jeden Tag dafür, dass Mutter Teresas Schwestern in den Ostteil der Stadt kommen würden. Als Mutter Teresa 1980 Berlin besuchte, ließ sie die Kunde von den treuen Betern nicht ungerührt. Ohnehin drängte es die frisch gekürte Friedensnobelpreisträgerin, mit ihren Schwestern auch in den sozialistisch geprägten Ländern tätig zu sein. Allen Skeptikern zum Trotz gründeten die Missionarinnen der Nächstenliebe bereits 1981 die erste Niederlassung im Ostblock, keinesfalls zufällig auf dem Gelände der Berliner St.-Adalbert- Gemeinde. Ihr Einsatzgebiet fanden sie aber zunächst im katholischen St.-Hedwigs-Krankenhaus, erzählt der damalige Gemeindepfarrer Klaus Timpe. Die kirchlichen Verhandlungsführer hätten das so beantragt, um das Vorhaben nicht in Diskussionen über die Existenz von Armut in der DDR zu ersticken.
Als Mutter Teresa die Niederlassung erstmals besuchte, habe sie sich über diese Regelung verwundert gezeigt: "Meine Schwestern müssen frei sein wie die Vögel. Nirgendwo in der Welt sind sie in ein Krankenhaus eingebunden." Als man ihr mitteilte, dass sich die staatlich Verantwortlichen hintergangen fühlen könnten, wenn sie dies nun einfach ändere, machte sie sich sofort auf zu einem Klärungsgespräch. Sie erläuterte ihr Anliegen und fügte hinzu, dass sie gern bereit wäre, ihre Schwestern wieder mitzunehmen, wenn sie der DDR Ungelegenheiten bereite. "Auf keinen Fall, tun Sie nur, was Sie für richtig halten!", bekam sie zur Antwort.
Domvikar Bernhard Gaar, der Sekretär des Dresdner Bischofs Gerhard Schaffran, hatte Kontakt zu den Ostberliner Schwestern bekommen. Er wusste auch von Mutter Teresas Gepflogenheit, in einem Land immer mindestens zwei Niederlassungen zu gründen. Ihm kam der Gedanke, dass Karl-Marx-Stadt, wo er zuvor noch als Kaplan gewirkt hatte, für eine Zweitniederlassung geeignet sein könnte. Auch Bischof Schaffran erwärmte sich für diesen Gedanken. Bei einer gemeinsamen Romreise erfuhren die beiden, dass sich gerade zufällig und nur für wenige Stunden Mutter Teresa in der Stadt aufhielt. Mit Hartnäckigkeit und etwas Glück gelang es, sie zu sprechen. "Als sie den Namen ,Karl-Marx-Stadt‘ hörte, musste sie schmunzeln, ließ sich die Stadt auf der Landkarte zeigen und signalisierte Zustimmung", erzählt Bernhard Gaar, der heute Pfarrer in Dresden-Johannstadt ist.
Marianne Seewald, Bischof Schaffrans damalige Mitarbeiterin, erinnert sich noch gut daran, wie unbürokratisch Mutter Teresa ihre spontane Zusage kurz darauf schriftlich bestätigte: In der Post lag ein DinA5 großes Blatt, auf dem Mutter Teresa die Niederlassung in Karl-Marx-Stadt mit zwei handschriftlichen Zeilen bekräftigt hat. Den Segen "God bless you" fügte sie ihrer Unterschrift hinzu.
Die staatlichen Behörden waren allerdings nicht so unbürokratisch. In Vorbereitung der Feiern zum 25-jährigen Bestehen der Niederlassung hat Schwester Pauline im Sächsischen Staatsarchiv recherchiert. In einer kleinen Ausstellung, die sie für das Fest am 18. Dezember zusammengestellt hat, ist unter anderem ein Bewilligungsdokument mit acht verschiedenen Stempeln zu sehen.
Schließlich waren alle Hürden genommen. Die vorgesehene Wohnung nahe der St.-Joseph-Kirche war den Wünschen der Schwestern entsprechend vorbereitet. Manchem gutmeinenden Katholiken war es schwergefallen zu akzeptieren, dass den Schwestern selbst der schlichte DDR-Komfort schon zu viel war. Zur Ausstattung durfte beispielsweise keine Waschmaschine gehören. Mutter Teresa war es wichtig, dass ihre Schwestern weltweit vergleichbaren Standard vorfinden, um ihnen die häufigen Versetzungen zu erleichtern.
Im Dezember 1983 begannen vier Schwestern ihren Dienst in Karl-Marx-Stadt. Sie begannen mit einem Hausbesuchsdienst für alte alleinstehende Menschen, später richteten sie auch einige Kurzzeitpflegeplätze für Kranke und Sterbende ein.
Im September 1984 kam Mutter Teresa erstmals nach Karl-Marx- Stadt. Zuvor besuchte sie Bischof Gerhard Schaffran im Dresdner Ordinariat und machte einen Abstecher bei den Nazarethschwestern in Goppeln. Der Berliner Pfarrer Klaus Timpe, der Mutter Teresa als Fahrer und Übersetzer begleitete, hatte kirchlicherseits die Anweisung erhalten, die Ordensgründerin vor den Medien abzuschirmen. Man wollte aus dem Besuch auf keinen Fall "ein Politikum" machen. Dass dies ein Ding der Unmöglichkeit sein würde, war dem Pfarrer von vornherein klar gewesen. Tatsächlich war der Besuch nicht nur für die Zeitung ein Thema. Noch am gleichen Abend brachte die Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" in ihrer Spätausgabe einen Beitrag. Auch der Oberbürgermeister hatte sich nicht davon abhalten lassen, Mutter Teresa zu treffen.
An einen Abstecher ins Erzgebirge kann Bernhard Gaar sich noch gut erinnern: "In der Nähe der tschechischen Grenze konnten alle Begleiter den tiefen Glauben dieser Ordensfrau live erleben", berichtet er. "Mutter Teresa fasste in die Tasche ihres Habits, nahm eine Muttergottesmedaillon und warf es über die Grenze mit den Worten: ,Wenn Gott will, werden wir auch in dieses Land Schwestern schicken.‘ Wie wir einige Zeit später erleben konnten, hat ihr Glaube auch dort Frucht getragen." 1988 kam Mutter Teresa zu einem weiteren Besuch. Einige DDR-Bürgerinnen hatten sich ihrer Gemeinschaft unterdessen angeschlossen. Die Ordensgründerin musste sich mit den zwiespältigen Reaktionen staatlicherseits auseinandersetzen: Einerseits wollte man sich weltoffen zeigen, andererseits waren die Folgen unabsehbar, wenn man diese Bürgerinnen einfach frei ziehen ließe ...
Nach der politischen Wende stellten die Schwestern ihr bisheriges Wirkungsfeld auf den Prüfstand. Was Gott wohl in der veränderten Situation von ihnen wollte, fragten sie sich eindringlich. Sie entschieden, in Chemnitz zu bleiben und fanden dort ein Haus, in dem sie sich seither um Obdachlose und sozial Schwache kümmern. Dass sie haargenau das Geld geschenkt bekamen, das sie zum Kauf des Hauses benötigten, war ihnen ein Signal zum Weitermachen. Auch die Sanierung konnten die Schwestern, die allein von Spenden leben, finanzieren.
Bei den Schwestern eine Oase des Friedens finden
Täglich außer donnerstags ist ihre Suppenküche für Bedürftige geöffnet. Es gibt einige Übernachtungsplätze für Männer sowie für Frauen und Kinder. "Unser Projekt zielt nicht auf wirtschaftliche Effektivität", sagt Schwester Pauline, die derzeitige Oberin. Es gehe nicht darum, das Haus immer gut auszulasten. Vielmehr sei es ihnen wichtig, Menschen auf ihrem Lebensweg weiterzuhelfen, sie Gottes Liebe erfahren zu lassen und sie zu Gott zu führen. Kein einfaches Unterfangen. Mit der väterlichen Liebe Gottes beispielsweise kann man Menschen, die fast durchweg negative Erfahrungen mit ihren Vätern gemacht haben, kaum kommen. Die Schwestern lassen sich dennoch nicht beirren. Wer zu ihnen essen kommt, weiß, dass vorher das Tagesevangelium gelesen und eine Gebetszeit gehalten wird. Mitunter schließen sich hitzige Diskussionen an, wenn es etwa um die Gerechtigkeit Gottes geht, der - wie im Gleichnis des Weinbergbesitzers - allen das Gleiche zuteilt. Manche finden aber gerade in der Gebetszeit inneren Halt. "Wir kommen doch nicht nur, um hier zu essen. Wir kommen auch, um zu beten", hat einer der Stammgäste neulich gesagt. "Das Haus soll eine Oase des Friedens sein", ist in der Hausordnung zu lesen. Die Schwestern spüren, dass immer mehr Menschen das genau so empfinden.
Zum Festgottesdienst mit Bischof Reinelt laden die Schwestern am 18. Dezember um 9 Uhr alle, die sich mit ihnen verbunden fühlen, in die Chemnitzer St.-Joseph-Kirche ein. Gäste sollten ein Gotteslob mitbringen.
Von Dorothee Wanzek