"Unbedingt dranbleiben"
Bischof Reinelt hält Rück- und Ausschau auf die Bistums-Initiative "Gemeinden im Aufbruch"
Dresden. Vor mehr als fünf Jahren hat Bischof Joachim Reinelt im Bistum Dresden- Meißen die Initiative "Gemeinden im Aufbruch" ins Leben gerufen. Ziel war es, einen nachhaltigen Erneuerungsprozess in Gang zu setzen. Im Tag des Herrn-Gespräch zieht der Bischof Bilanz.
In einer Reihe anderer deutscher Bistümer setzen Veränderungsprozesse bei den Bistumsstrukturen an. Sie haben Ihre Hoffnung auf die Basis gesetzt. Darauf, dass die Gemeinden in Ihrer Diözese eigenständig herausfinden, welche Schritte zur weiteren Entfaltung christlichen Lebens vor Ort förderlich und gangbar sind. Ist dieser Plan aufgegangen?
Unsere Impulse sind in den Gemeinden in sehr unterschiedlicher Weise aufgenommen worden. Fast alle Gemeinden haben sich irgendwie mit "Gemeinden im Aufbruch" befasst, intensiv ließen sich aber vielleicht nur zehn, maximal 20 Prozent darauf ein.
Sie hatten mit mehr gerechnet?
Mir war schon klar, dass Aufbrüche niemals alle erfassen. Auch in den Gemeinden selbst sind es immer nur Einzelne oder Gruppen, die sich auf neue Wege begeben. Das bestätigen für ihren Bereich im Übrigen auch die Bischöfe, die in ihren Diözesen große Prozesse angestoßen haben.
Sehen Sie "Gemeinden im Aufbruch" als mittlerweile abgeschlossenes Kapitel der Bistumsgeschichte?
Auf gar keinen Fall. Ich will unbedingt daran bleiben. Aufbruch ist ganz wesentlich für das Christentum. Häufig werden Aufbrüche durch Schocks hervorgerufen, durch ganz große gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisen. Die sind hier ausgeblieben. Die Gefahr "einzuschlafen" ist immer gegenwärtig. Wenn wir aber alles nur so dahintrotten lassen, werden die Kinder und Jugendlichen keine Lust mehr haben mitzumachen, und in 20, 30 Jahren haben wir dann nur noch ganz kleine Grüppchen.
Es wird nicht leicht sein, Katholiken zu motivieren, die nach mehr als fünf Jahren noch nicht auf den Gemeinde-Erneuerungsprozess angesprungen sind ...
Sicher. Wir müssen dabei behutsam sein. Die Gefahr ist, Leute vor den Kopf zu stoßen, so dass sie sich ganz zurückziehen. Deshalb darf ich keine Vorhaltungen machen und nur darauf schauen, was bisher alles nicht gelaufen ist. Stattdessen muss ich versuchen, an die positiven Ansätze anzuknüpfen und Gemeinden darin zu bestärken, diese weiterzuführen. Mir wird immer stärker bewusst: Aufbruch passiert dort, wo Gottes Liebe Menschen zusammenhält. Eine noch so kleine Liebe hat eine größere Kraft als noch so große Projekte. Eines der Ziele von "Gemeinden im Aufbruch" ist es ja, mehr überschaubare Gemeinschaften zu gründen, Hauskreise zum Beispiel, in denen man sich zu Hause fühlt und in denen diese Liebe gelebt wird, die natürlich aber offen sein müssen für jeden.
Fehlt es nicht vielerorts gerade an der Offenheit?
Es gibt mehr Furchtsamkeit in unseren Gemeinden, als wir geglaubt haben. Das müssen wir künftig stärker beachten. Dass viele auf die Anstöße für "Gemeinden im Aufbruch" reagiert haben wie auf Organisationsappelle, ist in meinen Augen Ausdruck von Furcht. Furchtsamkeit lässt sich nur durch Liebe überwinden. Missionierung kann in einem Klima der Furcht nicht gelingen, sie braucht den Schwung der Freiheit.
Jährlich wechselnde Themenschwerpunkte sollten den Erneuerungsprozess ergänzen und konkretisieren. Hier und da führten sie aber eher dazu, dass über "Gemeinden im Aufbruch" gar nicht mehr geredet wurde ...
Die Gefahr, dass ein Zuviel an Impulsen lähmend wirken kann, ist immer gegeben. Da gibt es ja auch noch die Anstöße aus Rom, Inhalte, die das Kirchenjahr vorgibt, Aktionen von Misereor und Adveniat ... Gemeinden sollen ihre Freiräume bewahren und eigene Schwerpunkte setzen können. In der Altenburger Gemeinde beispielsweise wurde jüngst die Umgestaltung der Seitenkapelle genutzt, um miteinander über Liturgie und Gemeindeleben ins Gespräch zu kommen. Für so etwas müssen wir Raum lassen. Auf der anderen Seite sollte aber die Gemeinsamkeit des Bistums auch nicht auf der Strecke bleiben. In dieser Spannung bewegen wir uns von jeher. In diesem Jahr haben wir bewusst keine große Diözesanveranstaltung anberaumt, um Zeit zu lassen für die Vertiefung des Gemeindelebens. "Auf dein Wort hin - Eingeladen zum Glauben" heißt der diesjährige Schwerpunkt. Es geht wirklich darum, die Anstöße des Prozesses "Gemeinden im Aufbruch" weiterzuführen. Erwachsene sollen ihren Glauben besser kennenlernen und auskunftsfähiger werden.
Im Jahresplan der Diözese fällt auf, dass die Multiplikatorenschulung für den Themenschwerpunkt erst im Herbst stattfindet. Warum erst kurz vor Ablauf des Jahres?
Das hatte organisatorische Gründe. Ich sehe darin aber auch etwas Gutes, zumal ja die Schwerpunkte auch nach Ablauf des jeweiligen Jahres aktuell bleiben: Erfahrungsgemäß gab es immer einige, die am Ende eines Themenjahres gesagt haben: Wir wussten mit dem Thema gar nichts anzufangen. Andere hingegen haben viele Erfahrungen gesammelt. Ich erhoffe mir von der Multiplikatorenschulung im Herbst einen fruchtbaren Austausch zwischen Teilnehmern mit unterschiedlichem Kenntnis- und Erfahrungsstand. Es gibt ja bereits jetzt in unserem Bistum verschiedene Wege, Erwachsene näher an den Glauben heranzuführen, die Alphakurse sind nur ein Beispiel.
Auch das Bistum Dresden- Meißen kommt um Gemeindezusammenschlüsse und andere strukturelle Einschnitte nicht herum. Nach welchem Prinzip gehen Sie dabei vor?
Wir haben vor acht Jahren ein Strukturpaket gemacht. Da steht klar drin, welche Gemeindestandorte langfristig erhalten werden können. Ich bin aber überzeugt, dass Kirche nie nach einem Schema vorgehen darf. So gibt es beispielsweise eine Reihe von Gemeinden, die entgegen der Pläne noch nicht aufgelöst wurden, weil Priester, die eigentlich schon im Rentenalter sind, sich bereit erklärt haben, dort als Seelsorger zu bleiben und weil mir die Gemeinden signalisiert haben, dass sie darüber froh und dankbar sind. Wir versuchen, nicht mit der Brechstange vorzugehen und immer die Menschen vor Ort im Blick zu haben. In Schirgiswalde wusste man beispielsweise lange vorher, dass Wilthen, Sohland und Großpostwitz hinzukommen würden. Man weiß dort aber auch, dass es nur deshalb dort noch einen Kaplan gibt.
Wirken die Fusionen eher hemmend oder befruchtend für Gemeinde-Aufbrüche?
Dass Fusionen nie schmerzfrei sind, ist natürlich klar. Das erleben wir in unserem Bistum seit 50 Jahren. Es gibt aber Beispiele wie Schmölln, an denen deutlich wird: Auch wenn kein Priester mehr vor Ort lebt, kann Gemeinde dort lebendig bleiben. Schwierig ist es allerdings, wenn es keine jungen Familien mehr gibt, die das Leben in die Hand nehmen könnten.
Zeittafel
Juni 2004 Bischof Reinelt stellt in Wechselburg die Initiative "Gemeinden im Aufbruch" erstmals der Öffentlichkeit vor.
2007 Jahresthema Taufe
2008 Jahresthema Sakrament der Versöhnung
2009 Jahresthema Ehe und Familie
2010 Jahresthema "Auf dein Wort hin - Eingeladen zum Gauben"
Von Dorothee Wanzek