Anziehend Glauben leben
Die Zukunft der christlichen Gemeinden in der Stadt war Thema einer Vortragsreihe in Leipzig
Leipzig. Chancen und Herausforderungen des christlichen Glaubens in der modernen Großstadt, verbunden mit dem Blick in die Geschichte, waren Thema einer Vortragsreihe in der Propstei in Leipzig.
Zu einer basisgemeindlichen Glaubens- und Lebenspraxis hat die Erfurter Pastoraltheologin Maria Widl die Christen aufgerufen. Darunter versteht sie Gemeinden, in denen "gerade in für den Einzelnen schwerer Zeit die Sorge umeinander herzlicher, persönlicher und verbindlicher wird". So könnten auch Außenstehende sich vom Licht und der Kraft des Evangeliums angezogen erfahren. Zudem sollten die Gemeinden "Formen des Gebetes, der Meditation und der Liturgie kultivieren, in denen Trost, Beistand und Führung Gottes existentiell erfahrbar werden" und dem Einzelnen dabei seine Berufung und Aufgabe deutlicher wird. Lebendige urbane Kirchengemeinden würden zudem "die konkreten Alltags- und die großen Zeitfragen mit gläubigem Blick zu ergründen suchen, ohne dabei hinter den kritischen Maßstäben der Gesellschaft zurückzubleiben". Kriterium dafür, als Gemeinde auf evangeliumsgemäßem Weg zu sein, sei, "dass das eigene Gottvertrauen tiefer und das allgemeine Gotteslob größer werden".
Die Lehrstuhlinhaberin für Pastoraltheologie und Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt sprach im Rahmen des Winterseminars der Propstei-Gemeinde und des Leibniz-Forums Leipzig. Die dreiteilige Reihe stand diesmal unter dem Thema "... wie im Anfang so auch jetzt und alle Zeit? - Glaube in Leipzig. Geschichte - Gegenwart - Zukunft". Im Jahr 1710, also vor 300 Jahren, wurde in Leipzig erstmals nach der Reformation wieder katholischer Gottesdienst gefeiert. Mit Blick in die Zukunft und in ökumenischer Gemeinsamkeit sollte das Winterseminar darauf Bezug nehmen, wie Pfarrer Gregor Giele betonte.
Zum Auftakt bot der Leipziger Historiker Ulrich von Hehl einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Glaubens in der Stadt. Dabei erinnerte er daran, dass es der aus Gründen seiner Machterweiterung katholisch gewordene August der Starke war, der den zunächst wenigen Katholiken im evangelisch-lutherisch geprägten Leipzig 1710 wieder zur regelmäßigen Feier der heiligen Messe verhalf. Von Hehl, der Neuere und Neueste Geschichte lehrt, erinnerte auch an die 1847 geweihte eigene katholische Trinitatiskirche, die 100 Jahre später den Bomben zum Opfer fiel, sowie an die 1968 erfolgte Sprengung der von den Katholiken genutzten Universitätskirche St. Pauli.
Missionarisch und in der Haltung echter Toleranz
Bereits seit den 1920 Jahren habe es in Leipzig "organisierte Bestrebungen" atheistisch orientierter Gruppierungen gegeben, "Weltdeutungen aus christlicher Wurzel auszurotten". In den beiden Diktaturen seien dann "große Teile der Bevölkerung der Religion nachhaltig entfremdet worden". Dennoch sei es in der DDR gelungen, zum Beispiel durch gute kinder- und jugendkatechetische Arbeit oder reichhaltige kirchenmusikalische Aktivitäten katholischen Glauben in der Stadt attraktiv zu halten und Menschen darin zu bestärken. Der jetzt anvisierte Neubau der Propstei werde in heutiger Zeit entsprechende Chancen bieten, so von Hehl.
Überlegungen zu einer "Kirche im Übergang. Glauben in nachchristlicher Gesellschaft" stellte beim zweiten Vortragsabend der in Leipzig lebende evangelische (thüringische) Landesbischof in Ruhe, Christoph Kähler, an. Dabei zog er eine nüchterne Bilanz hinsichtlich des hohen Mitgliederschwunds und des Rückbaus der kirchlichen Gemeindestrukturen. Andererseits unterhielten die Kirchen heute erfolgreich viele soziale Einrichtungen und spezielle Seelsorgeangebote. Angesichts der schwierigen Situation für die Gemeinden hätten "Eifersüchteleien zwischen den Konfessionen keinen Platz", mahnte der Theologe. Gebot der Stunde sei hingegen, als Christen missionarisch das Evangelium zu bezeugen und sich zugleich für echte Toleranz in der Gesellschaft zu engagieren.
"Licht der Welt. Chancen und Herausforderungen des Glaubens in der modernen Großstadt" war der letzte Abend mit Pastoraltheologin Widl überschrieben. In seinen Ursprüngen sei das Christentum zwar Stadtreligion gewesen, so die Professorin. Volkskirche sei es jedoch durch die Missionierung der Landbevölkerung geworden. Dabei sei die Volksfrömmigkeit vom bäuerlichen Jahresrhythmus und seinen elementaren Erfahrungen geprägt worden, was bis heute am Kirchenjahr ablesbar ist. Dies Prägung entspreche jedoch in einer heute selbst im ländlichen Raum eher städtisch bestimmten Welt immer weniger dem Lebensempfinden der Menschen. In welche Richtung das liturgische Jahr hier verändert werden könnte, ließ die Theologin eher offen.
Dörflich geprägter Glaube und neue Religiosität
Hinsichtlich der Frage adäquater Angebote der Gemeinden auf religiöse Bedürfnisse in der Großstadt verwies die Professorin auf Projekte der City-Pastoral mit niederschwelligem Ansatz. Kirchliche Praxis mit ihren Sakramenten und Gottesdiensten ist danach etwas sehr Anspruchsvolles, das von Außenstehenden nicht verstanden wird. Straßenlokale mit Info- und Gesprächsofferten, aber zum Beispiel auch soziale Angebote wie etwa für Obdachlose sollen Zugänge eröffnen. Viele Städter würden dadurch aber nicht erreicht und hätten den Eindruck, "dass die Kirche ziemlich ahnungslos" vom realen Leben ist und nicht wirklich etwas zu bieten habe, sagte Widl.
Nach einem anderen Ansatz werden Interessierten intellektuell gehobene Diskussionsforen, Gottesdienste und Predigten oder herausgehobene spirituelle Erfahrungen angeboten. Für die "ganz normale Gemeinde" hält die Theologin aber die eingangs beschriebene basisgemeindliche Praxis für evangeliumsgemäß.
Von Eckhard Pohl