Vergessene Krippen
Weihnachtsausstellung im Dresdener Jägerhof zeigt 30 Krippen aus Böhmen
"Alle Krippen vereint die Freude an der Menschwerdung Gottes", sagt der Konservator des Museums für Sächsische Volkskunst in Dresden, Bernd Herrde. Präsentiert werden in der traditionellen Weihnachtsausstellung Krippen aus Böhmen, die vom Ehepaar Karl-Heinz und Friedericke Klebe aus Lilienthal bei Bremen in den zurückliegenden zwölf Jahren gesammelt wurden. Herrde selbst sah deren Ausstellung im Heimatmuseum Meißen im vergangenen Jahr, war sofort begeistert und machte sich stark dafür, diese auch im Volkskunstmuseum zu zeigen. Und anders als in den hohen Meißner Hallen - das Museum befindet sich in der ehemaligen Klosterkirche der Franziskaner - kommen in Dresden mit gezielt eingesetztem Licht all die liebevollen Details und Gesichter zur Geltung.
Dabei reicht das Spektrum von der kunsthandwerklich perfekten Krippe über Arbeiten aus der Grulicher Krippentradition bis hin zu sogenannten naiven Darstellungen. Zudem gibt es Darstellungen aus Papier, die im Stil und in der Kleidung der böhmischen Tradition zuzuordnen sind. Es fällt Bernd Herrde schwer, einen Favoriten zu benennen. Begeistert ist er von jeder einzelnen Krippe. Aber da ist er dann doch, der ganz große Krippenberg aus Trautenau im Riesengebirge: 2,40 Meter breit und jeweils 1,50 Meter hoch wie tief. Bestückt ist die böhmische Stadtlandschaft mit 100 Figuren, 40 Engeln und 80 Schafen.
Gefunden wurde diese, um das Jahr 1930 geschaffene Krippe vom Ehepaar Klebe auf dem Leipziger Trödelmarkt, wo sie in Einzelteilen verkauft werden sollte. Mit ihrem Erwerb konnten die Klebes diese eindrucksvolle Krippe bewahren und haben nun noch den Wunsch, den Schöpfer dieses Werkes ausfindig zu machen. Ohne die Klebes wären diese und die anderen Krippen für immer verloren gewesen. Bernd Herrde spricht in diesem Zusammenhang immer wieder von den vergessenen Krippen, die aus ihren Familien herausgerissen wurden und niemandem mehr gehören. "Was die Krippen den vertriebenen Deutschen aus dem Sudetenland allerdings einmal bedeuteten, wird klar, wenn man bedenkt, welche Anstrengungen sie unternahmen, um diese zu retten. Die Krippe gehörte einfach zur Familie dazu und nicht wenige riskierten ihr Leben, als sie bei Nacht und Nebel die Grenze überschritten, um ihre Krippe zu holen", berichtet Bernd Herrde.
Der Konservator informiert weiter über die verschiedenen Traditionen, die es in Böhmen gab. Einige konnten sich teure Darstellungen aus einer Wiener Werkstatt leisten, andere kauften Krippen aus Grulich oder schnitzen selbst. Auch die Hintergründe weisen regionale Bezüge auf. So wurde beispielsweise im Schluckenauer Zipfel der Nazarener Stil gepflegt, eine Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts. Ein allgemeines Kennzeichen ist aber die Mischung von orientalischer und regionaler Darstellung. Die Menschen holten das biblische Geschehen in ihre Lebenswirklichkeit. So sind die typischen Gabenbringer, die das Christkind besuchen und beschenken, Menschen aus Böhmen: Handwerker, Bäuerinnen, Händler, Waldarbeiter …
Zudem hat die böhmische Krippentradition auch das heimische Erzgebirge beeinflusst, weiß Bernd Herrde zu berichten. Zunächst war es den Leuten hinter der Grenze streng untersagt, Krippen ins damalige Königreich Sachsen einzuführen oder zu auf Ausstellung sowie Messen zu zeigen. Nachdem dieses Verbot gelockert wurde, übernahmen die Volkskünstler des Erzgebirges schnell die orientalische Motive und die Botschaft der böhmischen Krippen. Es entstanden der Weihnachtsberg mit der Geburt Christi als Zentrum.
Bernd Herrde würdigt den Beitrag, den die deutsche Bevölkerung Böhmens bei der Ausprägung dieser speziellen Krippentradition hatte. Mit ihren Krippen gaben die katholischen Bürger in Böhmen - Deutsche und Tschechen - ihre eindeutige Antwort auf ein Verbot von Kaiser Joseph II., der als bekennender Vertreter der Aufklärung die Krippen aus den Kirchen im Habsburger Herrschaftsgebiet verbannte. Ein Verbot allerdings, das sich nicht lange hielt. Doch die wenigen Jahre genügten, um eine neue Tradition zu begründen: Die Menschen holten sich die Krippe in ihr Haus.
Museum für Sächsische Volkskunst, Dresden, Köpckestr. 1. Öffnungszeiten täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr.
Von Holger Jakobi