Anstoß
Licht an, Licht aus - der Stern
"Das Volk, das im Dunkeln wandelt, sieht ein großes Licht." Mal ehrlich, die meisten von uns sehen unter diesem Licht, das der Prophet Jesaja beschreibt, doch den funkelnden Weihnachtsstern. Klar und strahlend steht er über der Krippe, umkreist von himmlischen Heerscharen, die mit "Gloria in excelsis deo" den Hirten zuerst einen gewaltigen Schrecken einjagen, und dann eine riesige Freude bereiten. Da ist das Happyend gleich mit inbegriffen: der "Superstar".
Wir tun dem Weihnachtsstern Unrecht an, wenn wir ihn so verklären. Denn weder Jesaja noch die Evangelisten beschreiben eine schöne oder idyllische Situation. Jesaja spricht von einem "Hoffnungslicht" in fi nsterer Zeit, nicht von einem Aufblendlicht der Erlösung. Das Licht ist weit entfernt, und das Volk wandelt noch immer im Dunkeln. Und das Neue Testament beschreibt die Menschwerdung Gottes als eine zarte Inkarnation in eine Welt, in der die meisten den Erlöser nicht wollen und erkennen. Nur Hirten, die Unterprivilegierten kapieren bei Lukas mit "engelischer Hilfe", worum es eigentlich geht. Bei Matthäus folgen nur ein paar Fremde dem Stern, sie kommen aus einem fernen Land, während das eigene Volk keinen Blick für den offenen Himmel hat. Nein, es ist nicht so leicht, den Stern zu erblicken.
Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir uns einem etwas sperrigen Gegentext zuwenden: "Ein Volk, das sich Tyrannen unterwirft, wird mehr als sein Leib und Gut verlieren, dann erlischt das Licht." Der niederländische Dichter und Widerstandskämpfer Henk van Randwijk schrieb dies in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Volk macht das Licht selbst aus, um im Dunkel zu wandeln. Und die mehr als leidvolle Erfahrung des letzten Jahrhunderts mit Genoziden von Armenien bis Ruanda, mit Kriegen und Atombomben als dessen schrecklichstes Symbol Ausschwitz gilt, dürfte eigentlich kaum einen Blick auf den Sternenhimmel freilassen. Dürfte eigentlich nicht und doch, immer wieder gab und gibt es diesen Silberstreif am Horizont.Weil es bisher kein Volk der Welt vermochte, alle Lichtbringer auszulöschen. Dieses Licht, dieser Weihnachtsstern, der an den unmöglichsten Orten sein zartes Strahlen zeigt, ist Gottes- und Menschenwerk.
Mutter Teresa in den Slums von Kalkutta, Dietrich Bonhoeffer in Worten, die bis heute eine Ohnmacht des Todes vor dem Leben zeigen, das Engagement der Ärzte ohne Grenzen, die vielen bekannten und unbekannten Helden, die es immer wieder schaffen, der Welt ein Stück Dunkelheit zu entreißen. Das Volk, das im Dunkeln wandelt, sieht ein helles Licht. Dieses Licht ist nichts, was einfach so über diese Welt kommt. Dieses Licht will ersehnt, erhofft und erkämpft werden. Der Weihnachtsstern zeigt sich nicht denjenigen, die alles so genau wissen und in ihren schlauen Schriften blättern. Er zeigt sich denen, die hinausgehen und die Augen vor der Dunkelheit nicht verschließen. Sie, und niemand anderes, sehen das Licht der Welt und können so die Dunkelheit ein wenig beiseite schieben. Das Wunderbare des Weihnachststernes liegt in der Hoffnung, dass das Licht über die Dunkelheit hinweg zu leuchten vermag. So wie die Geburt Jesu Licht in die Welt bringt. Henk van Randwijk schreibt über die Geburt Jesu: "Schon die Behauptung, es sei wahr, ist so unvergleichlich schön, dass ich bis zu meinem Tode die Ohren spitzen möchte, ob ich es wohl hören darf."
Guido Erbrich, Bautzen