Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Anstoß

"Du sollst Gott nicht wuschig machen!"

Pater Bernhard Kohl

Im Religionsunterricht einer fünften Klasse lasen wir in der letzten Woche einen Text aus dem zweiten Buch der Könige: "Sie gaben sich dazu her zu tun, was dem Herrn missfiel, und ihn zu erzürnen", hieß es dort. Danach kam unter den Schülern die Frage auf, was das denn wohl bedeutet "den Herrn erzürnen". Sie überlegten etwas hin und her, bis eine Schülerin, nennen wir sie einmal Leonie, die zündende Idee hatte: "Du sollst Gott nicht wuschig machen!" Es war einer der Momente, in dem ich mich nicht nur innerlich kaum halten konnte vor Lachen.

Aber Leonie hat Recht! Zürnen leitet sich von zornig sein, von Zorn ab. Das altehrwürdige Grimmsche Wörterbuch schreibt: "Zorn bezeichnet die Gemüthserregung der Unlust, welche eine besondere Richtung gegen den Anlasz oder den Veranlasser der Unlust hat, sich in unwillkürlichen Worten und Handlungen kräftig äuszert, von einem lebhaften Spiel des Gesichts und des Köpers begleitet ist und in der Regel rasch entsteht und verläuft." Der Zorn ist wohl diejenige der sieben Todsünden, die uns Menschen häufig am meisten Spaß macht. Die eigenen Wunden lecken, längst vergangene Ärgernisse nochmals auf der Zunge zergehen lassen, sich still auf zukünftige Auseinandersetzungen freuen und den Schmerz, den man erlitten hat und heimzuzahlen hofft, bis zum letzten Bissen auskosten. Ein wirkliches Festmahl! Das Fatale daran ist nur, dass das, was man bei einem solchen Zornesmahl hinunterschlingt, man selber ist. Und die Knochen, die nachher auf dem Teller übrig bleiben - auch das bin ich.

Ist Gott so? Macht es ihm Freude, sich den Ärger, den wir ihm und uns untereinander bereiten, bis auf den letzten Bissen, bis auf die letzte Geschmacksnuance auf der Zunge zergehen zu lassen, um uns Menschen dann eine gepfefferte Rechnung zu präsentieren?

Ehrlich gesagt, glaube ich, dass Leonie aus der fünften Klasse mit ihrer Interpretation viel näher dran lag. Schlägt man einmal im Duden nach, dann findet man heraus, dass das Wort wuschig seit dem Jahr 2004 zum festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden ist. Das Nachschlagewerk gibt an, dass das Wort aus dem Nordostdeutschen stammt und umgangssprachlich so viel bedeutet wie verwirrt, erregt, unruhig. Und ist es nicht genau dass, was wir Menschen vermutlich mit dem menschenfreundlichen Gott anrichten, wenn wir unser Leben nicht so gestalten, wie er es sich für uns wünscht? Wenn wir unsere Mitmenschen anders behandeln, als sie es als Geschöpfe Gottes verdient hätten? Könnte es nicht sein, dass wir Gott durch solches Handeln vielmehr verwirren und unruhig machen, als ihn zur Weißglut und zu unbeherrschten Tobsuchtsanfällen zu reizen, weil er nicht nachvollziehen kann, warum wir ihn in seiner grenzenlosen Liebe ablehnen? Vielleicht sollte ich nochmal nachfragen, was Leonie dazu sagt.

Dominikanerpater Bernhard Kohl, Leipzig

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps