Meilenstein der Kirchengeschichte
14. Ökumenisches Forum zur Kirche in der Wendezeit
Dresden. Einen kritischen Rückblick auf die Rolle der Kirchen bei der Friedlichen Revolution 1989/90 regten Studenten und Lehrende im Rahmen des 14. Ökumenischen Forums der Institute für Evangelische und Katholische Theologie an der TU Dresden an.
"Wir hatten es nicht in der Hand. Niemals hätten wir diese Ereignisse in der Form planen und koordinieren können, wie sie passiert sind: die Bildung der Gruppe der 20, die Gebete und Demonstrationen. Was wir da erlebt haben war ein Befreiungswunder von biblischem Ausmaß!" Herbert Wagner, Dresdens ehemaliger Oberbürgermeister und Mitglied der Gruppe der 20, betonte bei der Veranstaltung, dass die politischen Umbrüche wie sie vor 20 Jahren eingetreten sind, rein menschlich gesehen, nicht vorhersehbar waren.
Die rund 100 Teilnehmer des Ökumenischen Forums an der Technischen Universität Dresden haben in Vorträgen zweier Professoren die Wendezeit im Hinblick auf die Rolle der Kirche betrachten und diskutieren können. Unter anderem zeigte eine Kunstinstallation einen von Studierenden gedrehten Film, für den Passanten in der Dresdner Innenstadt zum Thema befragt worden sind.
Herzstück der Veranstaltung war eine Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen, darunter Vertreter aus der Gruppe der 20, Bischof Joachim Reinelt und Christof Ziemer, ehemaliger Superintendent von Dresden sowie Annemarie Müller vom Ökumenischen Informationszentrum Dresden.
"Den Kirchen ist es zu verdanken, dass die Revolution 1989/90 tatsächlich eine friedliche Revolution war." Bischof Joachim Reinelt erinnerte sich bei diesem Ausspruch an die Parole "Keine Gewalt", die maßgeblich aus den Kirchen hinaus ins Bewusstsein der Demonstranten gegangen sei. Die Kerzen in den Händen der Menschen seien ein Zeichen der Gewaltlosigkeit gewesen. Die Friedliche Revolution sei ein Meilenstein der Kirchengeschichte: "Dass aus kleinen Zellen, ja einzelnen Gebetszellen, ein derartiger Umbruch für das ganze Land hervorgeht ist einzigartig."
Auch Frank Richter, damals Kaplan in der Dresdner Hofkirche und Initiator der Gruppe der 20, sprach von der politischen Dimension des Gebets. Auch er sei der Überzeugung, dass nicht nur menschliche Kräfte im Herbst 1989 gewirkt haben. Bewegt erzählte er die Ereignisse aus der Nacht des 9. Oktobers, als tausende Demonstranten, darunter auch Frank Richter und sein Priesterkollege Andreas Leuschner, auf der Pragerstraße von einer Polizeikette eingekesselt wurden. Die beiden Priester baten die Polizisten um ein Gespräch mit dem SED-Oberbürgermeister. Als Richter nach positiver Antwort die Menge um die spontane Bildung einer Gruppe von Vertretern der Demonstranten auffordern wollte, habe er befürchtet, gegen den Lärm eines rauschenden Springsbrunnens inmitten des Platzes nicht ankommen zu können. "In dieser Sekunde ging der Brunnen aus. Stille. Dann applaudierte die Menge. Später habe ich mir dann die Frage beantwortet, für wen sie eigentlich applaudierten. Nennen Sie es Fügung, nennen Sie es Glück - wichtig dabei war, dass wir uns haben von den Ereignissen beglücken lassen."
Die Kirchen hätten auch selbstverschuldete Verluste nach den Ereignissen 1989/90 zu verzeichnen, äußerte Christof Ziemer. Ihm gelang es, als damaliger Superintendent von Dresden im Herbst 1989 vermittelnde Gespräche mit den DDR-Machthabern zu führen. Da wo die Stärke der Kirchen lagen, sei nach der Wende nicht angeknüpft worden. "Wir sind als Kirche heute in unserer Rolle für gesellschaftliche Kommunikation gescheitert." Grund dafür sei, dass die Kirchen in der Wendezeit näher an den Konflikten der Gesellschaft waren, heute aber mehr in den Institutionen zu finden seien. Auch seien sie zu wenig darum bemüht gewesen, die Menschen zu ermutigen, am Prozess der deutschen Einheit aktiv mitzuwirken. "Anstatt gemeinsam im Dialog etwas Neues zu schaffen, wurde einfach die bestehende Ordnung der alten Bundesrepublik übernommen", so Ziemer.
Von Elisa Eichberg