Die Musik und der Tod
In Magdeburg ist die sechsteilige Ringvorlesung "Tod - Ritual - Leben" zu Ende gegangen
Magdeburg. In Magdeburg ist am 27. Januar die Ringvorlesung "Tod - Ritual - Leben" zu Ende gegangen. Nachdem die Vorlesungsreihe ein Jahr zuvor in Halle viele Zuhörer hatte, wurde die sechsteilige Reihe teilweise variiert und mit geringerer Resonanz in der Landeshauptstadt wiederholt.
Zum Abschluss der Ringvorlesung sprach die Musikwissenschaftlerin Franziska Seils im Magdeburger Universitätsklinikum über "Tod als Herausforderung an die Kunst - Perspektiven der Musikgeschichte" mit Klangbeispielen von Bach, Liszt und Schostakowitsch. "Wie soll man wahrhaft christlich sterben?" Mit dieser Frage habe sich Johann Sebastian Bach in vielen Werken beschäftigt, sagte Musikwissenschaftlerin Seils von der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Halle. Er schrieb viele Begräbniswerke, Trauerkantaten und -motetten, weshalb die Beschäftigung mit dem Tod anderer Leute eine "Routinearbeit" für Bach gewesen sein dürfte, meinte die Professorin im Theoretischen Hörsaal der Anatomie. "Sterben war damals fast ein Akt der Öffentlichkeit." Die Trauermusik sollte dabei nicht nur zum Gedenken und Trösten dienen, sondern die Zuhörer auch an den eigenen Tod erinnern.
In seinen Spätwerken habe Bach auch seinen eigenen Tod reflektiert und in der Musik verarbeitet. Seine letzte Komposition sei wohl die h-Moll-Messe gewesen, nimmt die Musikwissenschaftlerin an. "Möglicherweise hat er sie für ein Hochamt am Wiener Stephansdom geschrieben", so Seils über neue Forschungsergebnisse über den "protestantischen Erzkantor".
Trösten, aber auch an den eigenen Tod erinnern
Im folgenden musiktheoretischen Teil analysierte Franziska Seils einen Ausschnitt der h-Moll- Messe: Der Bass sei dabei die vox christi (Stimme von Christus), der Kanon das Symbol für die Nachfolge, die Chromatik (Halbtonschritte) stehe hier symbolisch für die Sünde und schließlich würden die starken Dissonanzen nicht herkömmlich aufgelöst. Damit ziehe Bach "uns musikalisch den Boden unter den Füßen weg - das ist der Tod", interpretierte die Wissenschaftlerin das Klangbeispiel.
Einen anderen, "sanften" musikalischen Ausdruck für das Thema Tod findet sich in dem Klavierstück "Schlaflos, Frage und Antwort" von Franz Liszt. Dieses zweite Klangbeispiel entstand 1883 und damit drei Jahre vor dem Tod des berühmten Hofkapellmeisters und Lehrers.
Um welche Frage und Antwort es genau geht, sei nicht bekannt, sagte Frau Seils. "Aber es ist keine Banalität, die hier schlaflos hält", glaubt die Hochschulprofessorin. Und die Antwort komme in hohen Tönen, also "von ganz oben". In Bezug auf den Komponisten erklärte die Referentin: "Der Tod war nicht das Ende für den Katholiken Liszt, sondern ein Fallenlassen."
Ganz anderer Ansicht sei der russische Komponist Dmitri Schostakowitsch gewesen, weshalb er sich musikalisch auch ganz anders ausdrückte. "In seinen letzten verbitterten, von Krankheit gezeichneten Jahren hadert er mit seinem Leben", berichtete die Professorin. Der Pianist "ohne jede Religion" wollte "zu einer rationalen Einstellung zum Tod kommen" und darüber schreiben.
Ein Ergebnis seiner Reflektionen ist das 15. Streichquartett, das er sich selbst gewidmet habe und aus vielen Zitaten seiner Werke bestehe. "Die Musik bleibt fast stehen, bisweilen ist nur eine vereinzelte Stimme zu hören", beschrieb Professorin Seils das letzte Klangbeispiel. "Die Grundidee des Streichquartetts scheint hier aufgegeben."
Zusammenfassend versprach Seils für die Beschäftigung mit dem Thema Tod: "Musik kann uns zur großen Lebenshilfe werden." Durch Schostakowitsch helfe sie uns beispielsweise, millionenfaches Leiden der stalinistischen Säuberungen oder des Zweiten Weltkrieges zu verstehen. Durch die Musik von Johann Sebastian Bach könnten wir "den Tod als Schwelle zum ewigen Leben" begreifen, meinte die Hochschullehrerin. Natürlich sei es gerade bei textloser Musik immer auch eine Frage der Interpretation, fügte sie hinzu.
Der Tod aus verschiedenen Perspektiven
Mit der künstlerischen, genauer gesagt musikalischen Perspektive ging die Ringvorlesung "Tod - Ritual - Leben" am Magdeburger Universitätsklinikum zu Ende. Dabei hatten die Veranstalter einen Bogen von der Frühgeschichte und der archäologischen Sicht auf den Tod über die medizinische, psychologische, liturgische und religionswissenschaftliche Sichtweise geschlagen, der durch die Musik abgerundet wurde.
Das Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das Institut für Anatomie der Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg sowie die Katholische Akademie des Bistums Magdeburg hatten diese Ringvorlesung bereits vor einem Jahr an der Universität Halle gehalten und wegen des großen Zuspruchs in diesem Wintersemester für Magdeburg wiederholt.
Von Uwe Naumann