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Ruhelos auf der Suche nach irgendetwas

"Heimat" war das Thema der Winterakademie in Schmochtitz / Lesung mit Richard Wagner

Schmochtitz. ",... und worin noch niemand war‘ - Heimat als Utopia und Verheißung" war das Thema der Winterakademie im Bischof-Benno-Haus Schmochtitz. Dabei ging es auch um rumäniendeutsche Literatur. Gast war der Schriftsteller Richard Wagner.

"Worum es mir in den ‚Habseligkeiten‘ ging, war die Ruhelosigkeit zu beschreiben, von Menschen, die ausgewandert sind und die auf der Suche nach irgendetwas sind, was sie selber nicht so genau beschreiben können. Irgendetwas haben sie gesucht, was sie nicht hatten oder was sie glaubten nicht zu haben. Und solche Leute werden nie zur Ruhe kommen, das habe ich festgestellt." Das hat der Schriftsteller Richard Wagner einmal über seinen Roman "Habseligkeiten" (erschienen 2004) gesagt. Bei der diesjährigen Winterakademie zum Thema Heimat im Bischof- Benno-Haus Schmochtitz, die das Bildungshaus zusammen mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen veranstaltet, las Richard Wagner aus seinem Roman.

Darin erzählt er die Geschichte des Rumäniendeutschen Werner Zillich, die zumindest Parallelen zum Leben des Autors aufweist. So wie Wagner stammt auch seine Romanfigur Zillich aus dem Banat und lebt in Deutschland. Zur Beerdigung des Vaters kehrt Zillich in seine Heimat zurück. Auf der Rückreise lässt er die Geschichte seiner Familie Revue passieren: die gescheiterte Auswanderung der Urgroßeltern nach Amerika, die russische Kriegsgefangenschaft des Vaters und die Erfahrungen im Rumänien Ceausescus.

Wagner verknüpft in dem Roman diese Geschichte mit den Erfahrungen Zillichs in der westlichen Gesellschaft, in der er jetzt lebt. Seine Ehe ist gescheitert und beruflich geht es nicht vorwärts. Zillichs Geschichte ist eine Geschichte von Heimatlosigkeit: Von der alten Heimat im Banat kann er nicht lassen, in der neuen Heimat im Westen ist er nicht angekommen. Wagners "Habseligkeiten" seien ein "Heimatroman ohne Heimat" und ein "Roman über den Heimatverlust", sagen die Rezensenten.

Natürlich kann Wagner sich noch gut an seine Banater Heimat erinnern, vor allem an die Natur. Aufgewachsen ist er in einem Dorf. Er betont: "Am Rande eines Dorfes. Da bekommt man nicht alles mit, was in der Mitte des Dorfes geschieht."

Diese Distanz ist für Dr. Olivia Spiridon ein Kennzeichnen für die Schriftsteller der "Aktionsgruppe Banat". Sie grenzten sich nicht nur von der sozialistischen, sondern auch von der traditionellen rumäniendeutschen Literatur ab, sagt Spiridon, die bei der Winterakademie eine Einführung in diese Literatur gab. Rumäniendeutsche Autoren wie Adam Müller-Guttenbrunn hatten in den Jahrzehnten zuvor das Leben in den Dörfern des Banat in ihren Heimatromanen in schillernden Farben gemalt. Richard Wagner und seine Kollegen wollten damit nichts zu tun haben. Sie brachen mit den traditionellen Dorfgeschichten. "Manchmal ist das Dorf eine riesengroße Kiste, und der Großvater schlägt seine Nägel hinein", schreibt etwa Herta Müller.

Die Ausreise in den Westen verstärkt für diese Schriftsteller die Auseinandersetzung mit dem Thema Heimat noch einmal durch die Erfahrung, nirgends dazuzugehören. Herta Müller: "Hier bin ich nicht zu Hause, weil ich nicht von hier bin, und dort nicht, weil ich nicht dazugehöre." Und Richard Wagner: "Immer heißt es: Wir und dann sie. Wir und sie." Was aber kann dann für Menschen wie Richard Wagner Heimat sein? Für sie sei Heimat der Ort, an dem sinnvolles Leben möglich ist, antwortet Olivia Spiridon. Herta Müller drückt das so aus: "Im Grunde ist meine Heimat nicht die Sprache, sondern das, was gesprochen wird." Und Richard Wagners Romanfigur Zillich entdeckt, dass Heimat dort ist, wo die Menschen sind, die man liebt.

Von Matthias Holluba


Zur Person

Richard Wagner, Schriftsteller



Wagner ist 1952 im Banat geboren. In der Hauptstadt des Banat Temeswar (Timisoara) studierte er Germanistik und arbeitete dann als Deutschlehrer. Vor dem Hintergrund des auch in Rumänien 1968 einsetzenden politischen und kulturellen Tauwetters im Zusammenhang mit dem Prager Frühling (Ceausescu hatte sich geweigert, in die Tschechoslowakei einzumarschieren) begann er zu schreiben. Heute sagt er über diese Zeit: "Ich hatte keine Chance, aber ich nutzte sie. Als ich mit dem Schreiben anfing, war eigentlich alles schon wieder vorbei." 1971 sei Ceausescu verrückt geworden, angesteckt vom Personenkult, den er bei einem China- und Nordkoreabesuch erlebt hatte.

Wagner schrieb in Rumänien Gedichte und Kurzprosa. "Gedichte sind die Form, Dinge auszudrücken, die man in einer Diktatur anders nicht ausdrücken kann." 1972 gehörte er zu den Mitbegründern der "Aktionsgruppe Banat", in der sich junge oppositionelle rumäniendeutsche Autoren zusammenschlossen. Als die Repressionen seitens des Geheimdienstes zunahmen, stellte er 1985 einen Ausreiseantrag. Entscheidender Punkt war die Verprügelung eines Schriftstellerkollegens durch den Geheimdienst Securitate. "Es gab schon vorher viele Repressionen, aber damit war die rote Linie überschritten." Es folgte ein Gespräch mit dem Geheimdienst-Chef von Temeswar, bei dem Wagner merkte: "Die Leute sind so primitiv, dass es sinnlos ist, mit ihnen zu reden."

Zwei Jahre später verließ Wagner Rumänien in Richtung Bundesrepublik Deutschland, begleitet von der kürzlich mit dem Literaturnobelpreis geehrten Herta Müller, die zu dieser Zeit seine Ehefrau war. Heute lebt er als Schriftseller in Berlin. (mh)

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