Wo einst nur Trümmer waren
Rudolf Nitzschke erinnert sich an die Zerstörung Dresdens vor 65 Jahren
Dresden. Rund 15 000 Menschen kamen am 13. Februar in die Dresdner Innenstadt, um der Kriegsopfer zu gedenken und einen Naziaufmarsch zu verhindern. Zeitzeuge Rudolf Nitzschke blickte an diesem Tag 65 Jahre zurück.
Trümmer, so weit man sehen konnte. Die Zahl der Toten ist bis heute strittig, Schätzungen liegen bei 25 000. "Unseren Eindrücken nach waren es aber viel mehr", erinnert sich Rudolf Nitzschke, damals 14 Jahre alt. Er ist in Dresden groß geworden. "Nie hätte ich gedacht, dass diese Stadt der Kultur je zerstört werden würde." In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 brach das Inferno über Dresden aus. Nitzschke selber hielt sich zum Zeitpunkt der Bombenangriffe im Haus seiner Großeltern im Zentrum auf. Er wurde verschüttet, konnte sich aber über ein kleines Kellerfenster befreien.
Dass die Nazis heute wieder Jahr für Jahr versuchen, diesen Gedenktag für ihre Zwecke zu missbrauchen, stößt besonders bei Überlebenden auf Unverständnis. "Wir hätten uns einen ruhigen Gedenktag gewünscht, nicht solchen Aufruhr", sagt Nitzschke.
Wenn er erzählt, was er vor 65 Jahren erlebt hat, wird klar warum: "24 Stunden nachdem die letzten Bomben gefallen waren, ging ich zur Hofkirche, um nachzusehen, ob mein Klassenkamerad überlebt hat." Die Kirche war völlig verwüstet, an einer Stelle habe es sogar noch gebrannt. Rudolf Nitzschke stand allein in den Trümmern und blickte erstarrt umher. Im Pfarrhaus fand er seinen Schulkameraden. Er hatte überlebt. Viele andere fand er tot oder gar nicht. "Ich habe auch im Luftschutzkeller der Kirche nachgesehen. Da war ein Pater, der hielt noch die Hostie in der Hand." Wenige Tage später suchte Nitzschke mit einem kleinen Trupp nach weiteren Toten in den Luftschutzkellern, um sie würdig beerdigen zu können. "Die meisten Leichen wurden ja auf den großen Plätzen in der Stadt gesammelt, nach außerhalb gebracht und verbrannt", erinnert er sich.
Auch die meisten Gemeindemitglieder der Kathedralgemeinde starben in der Nacht der schweren Bombenangriffe. Die übrigen versuchten ihre Kirche nach und nach wieder aufzubauen, darunter auch der 14-jährige Rudolf Nitzschke. "Der Turm stand noch, das war für mich ein kleines Hoffnungszeichen!" Noch wenige Tage vorher seien er und einige Jungs bis zur Zwiebel des Turmes hinaufgestiegen und hätten Papierflugzeuge fliegen lassen. Heute noch lacht Rudolf Nitzschke herzhaft über diesen Streich.
Schon am 17. Juni 1945 wurde in der Hofkirche die erste heilige Messe nach der Zerstörung gefeiert. Ursula Nitzschke erinnert sich an die Zeit des Aufbruchs: "Aus dem ganzen Elend heraus, dem Hunger, der Armut, wollten wir etwas Neues schaffen. Wir waren jung und wollten Gutes wachsen lassen." Ihre Jugendzeit in Dresden beschreibt Ursula Nitzschke, die selber als Flüchtling aus Breslau nach Dresden kam, als Zeit des Zusammenhalts in der Pfarrjugend, in der man um ehrliche Freundschaften bemüht war. Hier lernte sie auch ihren Mann kennen.
"Die Hofkirche war mein Lebensmittelpunkt", berichtet Rudolf Nitzschke. "Gerade in der Zeit des Krieges, wo unsere Väter an der Front kämpften und nicht zurückkehrten, waren wir dankbar für die Priester in unserer Gemeinde, die uns zu Vätern wurden." Einer der Franiskanerpater war es auch, der ihm nach dem Krieg das Abitur ermöglichte. Nitzschke konnte Medizin studieren und war später viele Jahre als Chefarzt im St. Joseph- Stift in Dresden tätig.
Seit 1946 nehmen Rudolf Nitzschke und seine Frau jedes Jahr am Gedenkgottesdienst am 13. Februar in der Hofkirche teil. Ursula Nitzschke erinnert sich an den ersten Jahrestag: "Wir haben ein Nachtgebet gehalten. Wir standen an dem zerstörten Altarbereich und es wurden die Klagelieder des Jeremias gesungen. Das war ein unbeschreiblicher Moment."
Rudolf Nitzschke liebt seine Stadt: "Ich hänge an Dresden, ich hänge an der Hofkirche. Es ist jedesmal eine unglaubliche Freude für mich, wenn ich das Elbpanorama sehen darf, heute sogar wieder mit der Frauenkirche." Dass diese wieder errichtet worden ist, gleicht für das Ehepaar Nitzschke einem Wunder. Zu DDR-Zeiten sei Dresden eine gesichtslose Stadt gewesen, nun nach dem langersehnten Wiederaufbau, der Rudolf Nitzschke nach der Wende wie eine Auferstehung Dresdens erschien, erstrahle sie in unvergleichlichem Glanz. Eine Würdigung für alle Überlebenden des Krieges, die den Wiederaufbau von der ersten Stunde an bewältigen mussten.
Von Elisa Eichberg