Christlicher Same für die Stadt
Der Ökumenische Kindergarten Nordhausen wird sich beim Kirchentag präsentieren
Nordhausen. Als eines von zwölf ökumenischen Projekten Mitteldeutschlands wird der Ökumenische Kindergarten Nordhausen beim Münchner Kirchentag mit einem Stand vertreten sein.
Ein heißer Draht zu den Kirchen der Stadt war der Gruppe von evangelischen und katholischen Christen wichtig, die vor achtzehn Jahren die Trägerschaft eines Kindergartens in Nordhausen übernahm. Zugleich wollten die Kindergartengründer unabhängig sein von kirchlichen Entscheidungs- und Verwaltungsabläufen. Der ökumenische Trägerverein, den sie gründeten und in dessen Vorstand neben fünf gewählten Mitgliedern auch zwei entsandte der beiden großen Kirchen agieren, garantiert beides.
"Wir haben diesen Schritt nie bereut", sagt Norbert Klodt, Katholik und stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Er ist stolz auf den guten Ruf, den sich der mittlerweile größte Kindergarten des Umlandes unter Leitung seiner Frau Margit erarbeitet hat - nicht nur bei Christen. Dabei macht Margit Klodt schon bei den Vorgesprächen mit interessierten Eltern keinen Hehl daraus, dass christliche Erziehung hier groß geschrieben wird. Voraussetzung für die Aufnahme ist, dass Eltern, die selbst keine Christen sind, respektvoll auf das reagieren, was ihr Kind im ökumenischen Kindergarten erlebt. Sie sollten ihr Kind ernst nehmen, wenn es beispielsweise auch zu Hause ein Tischgebet sprechen möchte, sollten aber selbst nicht ohne eigene Überzeugung mitbeten und schon gar nicht das betende Kind dem Besuch "vorführen". "Wenn Sie all dies nicht können", macht die Kindergartenleiterin den Eltern unmissverständlich deutlich, "entscheiden Sie sich bitte für einen anderen Kindergarten unserer Stadt". Dass Eltern dies tun, kommt vor, ist aber eher selten. Stattdessen hört Margit Klodt immer wieder: "Ich habe all das nie gehabt. Meinem Kind würde ich es aber wünschen, es kennenzulernen."
Rituale durchziehen den Kindergartenalltag
Das Herzstück der pädagogischen Arbeit sieht die Leiterin im Morgenkreis, der alle Kinder ab zweieinhalb Jahren täglich außer donnerstags in einem großen hellen Raum der oberen Etage zusammenführt. Juliane Köhler begrüßt rund 100 Kinder am Morgen des 24. Februar im Stuhlkreis mit einem lustigen Bewegungs-Sprechstück. Anschließend entzündet sie eine Kerze: die Besucherkerze, die nicht nur zu Ehren von Gästen brennt, sondern auch immer dann, wenn etwas Besonderes in der Familie eines Kindes oder einer Erzieherin passiert ist: eine Geburt, ein Todesfall oder eine schwere Erkrankung ... Daneben steht die Geburtstagskerze, und auch die kann Juliane Köhler an diesem Morgen entzünden. Alexander aus der Starengruppe darf auf dem Geburtstagsthron Platz nehmen. Stolz präsentiert er sein schönstes Geburtstagsgeschenk, ein Laserschwert. Für jedes seiner sieben bisherigen Lebensjahre ertönt ein metallener Klangstab.
Dann beginnt Juliane Köhler zu erzählen und baut währenddessen ein Bodenbild in der Mitte des Morgenkreisraumes auf. Aus blauen Filzstangen, Tüchern und einer Wasserschale entsteht der Fluss Jordan. Während von Johannes dem Täufer die Rede ist, tritt eine Kollegin auf, die sich in eine Fellweste gehüllt hat. Sie lässt Wasser durch ihre Finger gleiten und tritt wieder aus dem Kreis heraus, während Juliane Köhler mit ruhigen, eindringlichen Worten von Jesus erzählt, der sich vom gleichaltrigen Johannes taufen lässt. Sie lädt die Kinder dazu ein, die Freude über diese Taufe in einem israelischen Tanz zum Ausdruck zu bringen. Mit einem kleinen Teelicht wird anschließend jede der Kindergartengruppen wieder aus dem Morgenkreisraum verabschiedet.
Die ganze Fastenzeit hindurch werden die Kinder an jedem Tag eine Geschichte aus dem Erwachsenenleben von Jesus zu hören. Im wöchentlichen Wechsel bereiten die Mitarbeiterinnen diesen Tageseinstieg vor. Oft werden die morgendlichen Impulse von den Erzieherinnen später am Tag wieder aufgegriffen. An diesem Vormittag trifft man beispielsweise Kinder in ihrem Gruppenraum an, die den Tempel von Jerusalem malen. Am Tag zuvor war es um den zwölfjährigen Jesus im Tempel gegangen. Die eine oder andere Gruppe macht im Laufe des Tages noch einen kurzen Besuch im Morgenkreiszimmer. Alles, was am Morgen dort aufgebaut wurde, bleibt den Tag über stehen.
Kontakte zu den unterschiedlichen Kirchen haben die rund 200 Kindergarten- und Hortkinder der ökumenischen Einrichtung nicht erst, wenn sie das Haus verlassen. Alle Pädagogen sind engagierte Mitglieder ihrer Kirchen. "Unsere Unterschiedlichkeit ist ein Segen", findet Margit Klodt. "Wir sind immer wieder gezwungen, uns zu erklären. Dass wir unser eigenes religiöses Tun dabei immer wieder selbst reflektieren, tut auch den Kindern gut. Auch sie lernen dabei, über religiöse Erfahrungen zu sprechen", hat sie beobachtet. Bei allen Unterschieden zwischen den Konfessionen, die Erzieherinnen und Kinder entdecken, kommen sie am Ende doch immer wieder auf das Verbindende.
Besonders intensive Begegnungen mit den verschiedenen Konfessionen bietet das Kirchenprojekt, das den Vorschulkindern alle zwei Jahre angeboten wird. Bei den Besuchen in den städtischen Kirchen beeindruckt sie besonders das Taufbecken, in dem die Baptisten ihre Täuflinge untertauchen. Auch die Kniebänke im katholischen Dom fallen auf - jedenfalls den nicht katholischen Kindern. Zum Abschluss des Projektes sind Pfarrer aller Gemeinden zu Gast im Kindergarten und segnen die Kinder, die zu ihrer Kirche gehören oder die sich besonders mit ihr verbunden fühlen.
Überdurchschnittlich engagiert
Auch gemeinsame Kirchenbesuche mit den Eltern gehören zum Kindergartenjahr. Zu Ostern beispielsweise. Anders als in den anderen Tagesstätten der Region findet das Fest nicht schon am Gründonnerstag statt. Am Dienstag nach Ostern wird österlich geschmückt, am Mittwoch lädt der Kindergarten dann zum Gottesdienst. "Zum ersten Mal habe ich verstanden, was es mit Ostern auf sich hat", haben die Erzieherinnen schon mehrfach von Eltern oder Großeltern gehört. "Ich hoffe und bete, dass mancher Same, den wir hier anlegen, später aufgeht", sagt die Kindergartenleiterin.
Vor kurzem hat sich der Trägerverein entschieden, zwei kirchliche Sozialprojekte der großen Gemeinden regelmäßig zu unterstützen. In der evangelisch-lutherischen Gemeinde fiel die Wahl auf das Tansania-Projekt Matema, in der katholischen Gemeinde steht die Entscheidung noch aus.
Nicht nur die christliche Praxis unterscheidet den ökumenischen Kindergarten von den anderen Kindereinrichtungen der Stadt. Es gibt eine Reihe weiterer Besonderheiten im pädagogischen Konzept. Unter anderem gibt es eine eigene Waldgruppe, die alle zwei Wochen einen ganzen Tag im Wald verbringt. Donnerstags ist für alle Kinder "Wahltag", und sie entscheiden in den Gruppen gemeinsam, wer aus der Gruppe diesen Tag in der Kinderküche, in der Hauswerkstatt, der Bibliothek, dem Kreativ-, Musik- oder Sportraum verbringt.
"Die Eltern, die ihre Kinder bei uns anmelden, haben - berechtigterweise - hohe Erwartungen an uns", stellt Norbert Klodt fest, "aber sie zeigen auch überdurchschnittliches Engagement." Letzteres erwartet seine Frau auch von ihren Mitarbeiterinnen. Nichtsdestotrotz sei der Ökumenische Kindergarten ein mitarbeiterfreundlicher Betrieb. Das gute Miteiander werde nicht zuletzt deutlich, wenn eine Kollegin Kummer habe. "Wir tragen vieles gemeinsam, und oft brennt im Büro eine Kerze, die uns an ein konkretes Anliegen erinnert", erzählt Margit Klodt.
Von Dorothee Wanzek