Anstoß
Den Schuldigen auf der Spur
Ich kenne sie alle: "Der Wachsblumenstrauß", "Vier Frauen und ein Mord", "Mörder ahoi" und natürlich "16 Uhr 50 ab Paddington". Seit gut 50 Jahren flimmert Margaret Rutherford als Miss Marple über die Leinwände in aller Welt. An ihrer Seite und nicht wegzudenken der gute Mr. Stringer, manchmal schon zu gut für diese Welt. Und obwohl ich die Schwarzweißfilme schon viele Male gesehen habe: Ein Abend mit Miss Marple ist bis heute spannend. Die schrullige Hobbydetektivin gibt nicht eher auf, bis sie den Schuldigen überführt hat.
In gewisser Weise erleben wir gerade auch eine Jagd nach den Schuldigen. Allerdings mit einem kleinen Unterschied: Miss Marple fahndet in aller Stille, um die Täter zu stellen und der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Unsere modernen Medien suchen nach Schuldigen, um sie der hungrigen Öffentlichkeit zu präsentieren.
Mit Menschen, die so eindeutig Fehler gemacht haben, stellt sich die Schuldfrage zum Glück sehr einfach: Wir sind die Guten und da in den Medien sind die Schuldigen. Ich glaube allerdings, so einfach ist es nicht. Ist Schuld wirklich nur das, wofür jemand zurücktreten muss oder wofür man jemanden zur Verantwortung ziehen und verurteilen kann? Müssen wir uns über das Thema nur Gedanken machen, wenn etwas offenbar wird, oder sogar nur, weil es offenbar geworden ist? Ein abwegiger Gedanke, nicht wahr. Natürlich ist Schuld auch Versagen, das von niemandem angeklagt wird. Von dem wir manchmal ganz froh sind, dass wir es nicht in aller Öffentlichkeit ausbaden müssen.
Im christlichen Glauben wird das ganz deutlich, wenn wir Schuld als ein Versagen gegenüber Gott begreifen, dem wir in uns selbst, in unseren Mitmenschen und in seiner Schöpfung begegnen. Das bedeutet dann auch, dass wir unser Versagen ganz persönlich verantworten müssen. Im Lukasevangelium gibt es eine wunderbare Stelle, in der die Menschen von Jesus daran erinnert werden. (Lukas 13,1-5) Jesus greift zwei öffentliche Ereignisse auf, über die man spricht. Eine Tempelentweihung und einen Unglücksfall bei Schiloach. Beide Ereignisse werden von den Menschen eindeutig gewertet: Die Opfer müssen schwere Schuld auf sich geladen haben. Die Worte Jesu hallen deutlich nach: "Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht?" Es ist immer leichter, über die Schuld von anderen ins Gespräch zu kommen, als bei sich selbst zu beginnen.
Miss Marple fahndet in aller Stille nach dem Schuldigen. Vielleicht sollten wir das auch tun, wenn es uns wirklich um Gerechtigkeit und Vergebung geht.
Kaplan Marko Dutzschke, Cottbus