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Geschrumpft in die Zukunft

Was bedeutet der demografische Wandel für das Bistum Görlitz? Ein Ausblick.

Görlitz. Neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben Deutschland aufgeschreckt. Wir Deutschen werden weniger, älter und wahrscheinlich auch ärmer. Auch hier im Bistum Görlitz.

Es ist der 20. April 2030. Es ist Samstagabend, Karsamstag. Durch die Kleinstadt im Süden Brandenburgs fährt ein Elektro- Kleinbus mit dem Logo des Bonifatiuswerkes. Der Fahrer heißt Paul Schmidt und ist 20 Jahre alt. Er ist sonst Zivildienstleistender und sammelt heute die Senioren ein, die in die Osternacht wollen. Dazu müssen sie in die nächste größere Stadt. Und die ist 40 Kilometer entfernt. Wer kein Auto hat oder aus gesundheitlichen Gründen nicht selber fahren kann, ist auf den Shuttle-Service der Stadtgemeinde angewiesen. Acht Kleinbusse sind Sonntag für Sonntag unterwegs, um die Katholiken aus den kleinen Orten zum Sonntagsgottesdienst abzuholen. Denn einen regelmäßigen Busverkehr gibt es auf dem flachen Land schon seit 15 Jahren nicht mehr. 2015 wurden die meisten Linien eingestellt, weil die Landkreise die Zuschüsse nicht mehr bezahlen konnte.


Im Jahr 2010 gab es noch Supermärkte und Kirchen

Als Paul Schmidt 2010 geboren wurde, gab es in vielen der kleinen Orte noch Supermärkte, Kinos, Postfilialen und Kirchen. Auch die Straßen waren intakt und überall bekam man einen Stromanschluss. Doch dann kam der demografische Wandel. Dörfer wurden aufgegeben, weil sie auf den schlechten Straßen kaum noch zu erreichen waren. Die Reparaturen von kilometerlangen Abwasserleitungen für die nur noch 50 Einwohner eines ehemals 600 Einwohner starken Dorfes lohnte sich nicht mehr.

So oder so ähnlich könnte die Situation der Menschen in der Region, und damit auch die der Katholiken im Bistum Görlitz in 20 Jahren aussehen, glaubt man den Studien der Statistischen Landesämter von Brandenburg und Sachsen. Und die jüngste Studie des Statistischen Bundesamtes verheißt für den Osten Deutschlands und insbesondere das Gebiet des Bistums Görlitz nichts Gutes. Bis zum Jahr 2060 wird für ganz Sachsen ein Rückgang der Bevölkerung von 4,1 Millionen um 30 Prozent auf 2,9 Millionen Einwohner vorhergesagt. Noch schlimmer soll es in Brandenburg werden: Ein Rückgang der Bevölkerung von jetzt 2,5 Millionen um 36 Prozent auf nur noch 1,6 Millionen wird vorhergesagt.

Doch soweit muss man gar nicht in die Zukunft schauen. Detaillierte Bevölkerungsprognosen liegen für Sachsen bis zum Jahr 2020 und für Brandenburg bis 2030 vor. Wenn die Zahlen, die die Statistiker in ihren Studien vorhersagen, Wirklichkeit werden, steht der ganzen Region ein großer Wandel bevor. Und dieser Wandel betrifft nicht nur "die Bevölkerung", sondern auch die katholischen Christen der Diözese Görlitz.

Die höchste Katholikenzahl, 100 000, hatte das Gebiet des heutigen Bistums Görlitz um 1950 durch die vielen Flüchtlinge, die aus dem Osten gekommen waren. Zuvor, um 1944, hatte die Region rund 50 000 Katholiken in 31 Pfarreien oder Seelsorgestellen. Viele der Flüchtlinge flüchteten bis zum Mauerbau 1961 weiter gen Westen. Rund 75 000 Katholiken lebten zu der Zeit im Bereich des Erzbischöflichen Amtes Görlitz. 1990 wurden rund 45 000 Katholiken gezählt. Heute, 2010, sind es 30 000 in 24 Pfarreien.

Guben verliert ein Drittel seiner Einwohner

Düster sind die Prognosen für Hoyerswerda, Eisenhüttenstadt, Senftenberg, Cottbus und Altdöbern. Den Orten wird jeweils für den Zeitraum 2006 bis 2020 ein Bevölkerungsrückgang zwischen 22 und 32 Prozent vorhergesagt. Beim Blick ins Jahr 2030 trifft es Dahme/Mark am schlimmsten: 35,3 Prozent Bevölkerungsrückgang sagen die Experten vorher. Aber auch Guben (33,33 Prozent), Vetschau (32,03 Prozent) und Doberlug- Kirchhain (29,75 Prozent) sind betroffen. Etwas glimpflicher soll der Bevölkerungsrückgang in Görlitz und Wittichenau verlaufen. Hier soll die Zahl der Einwohner nur um sechs bis zwölf Prozent bis 2020 sinken.

Der Unmut über die Reform der Seelsorgestrukturen in den vergangenen Jahren und Monaten war teilweise groß. Vor dem Hintergrund des bevorstehenden drastischen Bevölkerungsrückganges sind sie jedoch nur ein Auftakt. Sicher, liebgewordene Traditionen sind verloren gegangen. Der Abschied von den mühsam zu DDR-Zeiten errichteten Kirchbauten fällt schwer. Viel Schweiß und Organisationstalent steckt in den hunderten Gebäuden der katholischen Gemeinden im Osten Deutschlands. Und doch wird beim Blick auf die Bevölkerungsprognosen deutlich, dass ein Umbau der Strukturen unausweichlich ist.

Beim genauen Hinsehen wird deutlich, dass der Priestermangel in den großenflächigen Diasporabistümern gar nicht das Problem ist. Im Bistum Görlitz kommen nur rund 900 Gläubige auf einen Priester im aktiven Dienst, während es in manchen Bistümern Westdeutschlands schon weit über 8 000 Gläubige pro Priester sind.

Vielmehr wird die Vereinzelung der Katholiken zum Problem werden. Wie kleine Gruppen noch gemeinsam als Christen leben können, weitab von den "großen" Stadtgemeinden, wird in Zukunft diskutiert werden.

Paul Schmidt wird 2030 seinen Zivildienst im Übrigen höchstwahrscheinlich bei der Caritas leisten. Denn dann leben zwar weniger Menschen in der Region, aber die sind deutlich älter als heute, bekommen weniger Rente und brauchen Hilfe. Gebraucht werden wir Christen hier also 2030 in jedem Fall noch.

Von Markus Kremser

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