Einkehr und verzichten lernen
In einem Fastenzeit-Seminar gibt es bei Sonja Rehor aus Sollschwitz viele Anregungen
Sollschwitz. Sonja Rehor hat ihren alten Job an den Nagel gehängt und ist Ernährungsberaterin geworden. In Seminaren bringt sie jetzt Interessierten richtiges Fasten bei.
Drei Fragen brennen dem Kaiser auf der Seele: "Was ist die wichtigste Zeit in meinem Leben? Wer ist der wichtigste Mensch in meinem Leben? Was ist die wichtigste Wissenschaft?" Sonja Rehor liest Lew Tolstois Erzählung "Die drei Fragen des Kaisers" vor. Hochgespannt lauschen die sieben sorbischen Teilnehmerinnen des Fastenzeit-Seminars in Sollschwitz. Später diskutieren sie und tauschen sich aus. Es ist der Einstieg in eine intensive Woche des Fastens und innerer Einkehr.
"Dokal?" (Wohin?), "Wotpocink" (Ruhepause), "Wobkuzlanje woci" (Das Verzaubern der Augen), "Zabudz twój rozum na chwilu" (Vergiss deinen Verstand eine Weile), "Daj sej derje hic" (Lass es dir gut gehen), "Z humorom so lepje radzi" (Mit Humor gelingt das Leben besser) heißen die Leitthemen im Fastentagebuch.
"Fasten heißt im Grunde Umstellung von äußerer Ernährung auf innere Ernährung. Der Körper braucht für diese Umstellung etwa drei Tage", sagt Sonja Rehor. "Er zehrt dann von den inneren Reserven." Allein für die Verdauung der Nahrung verbraucht der Körper circa 30 Prozent seiner gesamten Energie. "Das ist sehr viel", so die Seminar-Leiterin. Eben durch das Fasten wird diese Energie frei.
Zu Hause hätte ich nicht die Ausdauer und den Ehrgeiz
Innere Ruhe und Zufriedenheit sollen die Teilnehmerinnen finden. Sie erlernen auch gezielteres, tieferes Atmen. "Die Umwelt hat verlernt, mit Gebrechlichkeiten und Unzulänglichkeiten der Menschen zurechtzukommen", sagt die Seminarleiterin nachdenklich. Gerade das Fasten schärft wieder den Blick dafür. Es schärft für den Wert des Augenblicks. Es schärft für den Wert des Verzichts.
"Ich will lernen, bewusster zu genießen. Ich will viel für meine Ernährung und Gesundheit lernen", sagt eine Crostwitzer Teilnehmerin. In der Fastenzeit verzichtet sie bewusst auf Kaffee, Schokolade und Kuchen. Der Austausch in der Gruppe bereichert sie sehr. Er motiviert und ermutigt sie. "Ich bin ziemlich sicher: Zu Hause allein hätte ich nicht den Ehrgeiz, nicht die Ausdauer, nicht das Durchhaltevermögen für ein solches Seminar", meint eine Panschwitzer Teilnehmerin. Mit dem Seminar will sie Entschlacken lernen. Sie will den Effekt testen. Stärken und erfrischen soll das Seminar auch ihren Glauben. "Jesus hat 40 Tage gefastet", meint sie. "Da können wir doch wenigstens fünf Tage durchhalten." Auf Alkohol und Süßigkeiten verzichtet sie jetzt in der Fastenzeit. Am Seminar nimmt sie gezielt in der Zeit vor Ostern teil. Sie hat sich extra Urlaub genommen.
"Keiner sollte jemandem ‚zuliebe‘ fasten", betont Sonja Rehor. "Das Fasten sollte immer von innen heraus - aus eigenem freiem Willen - geschehen." Sie selbst praktiziert das seit zehn Jahren. Meist beginnt sie mit Fasten am Aschermittwoch. 2009 ging es sogar zu einem Fastenseminar in die Abtei Münsterschwarzach. Pater Anselm Grün leitete es. "Es ging um innere Einkehr. Um Fasten und Schweigen. Sehr angenehm war, auch einfach nur zuzuhören", schildert die Sollschwitzerin. Ohne Druck, ohne Selbstdarstellung, ohne Erwartungshaltung erlebte sie das dortige Seminar. Sie war eine von 30 Teilnehmern. "Zu Hause habe ich dann noch weiter gefastet."
Mit Schülern übt sie gesundes Kochen
Die Idee für eigene Fastenzeit-Seminare stand schon längere Zeit fest. Motiviert hat Sonja Rehor die eigene Familie. Ihr Sohn lebte mit Neurodermitis. "Ich habe erleben können, wie gut sich eine Umstellung der Ernährung auswirkt", erzählt sie. "Mich interessierte auch die Erfahrung des Fastens für den Glauben." Jahr für Jahr sammelte sie neue Erkenntnisse. Die Sorabistin und Kulturwissenschaftlerin schulte um zur Ernährungsberaterin. Inzwischen weilt sie oft an Schulen und übt mit Schülern gesundes, vollwertiges Kochen. An der Paracelsus-Schule für Heilpraktiker in Dresden absolvierte sie die Ausbildung zur Fasten- Begleiterin. Inzwischen gibt sie ihr zweites Seminar. "Wir lernen wieder zu schmecken. Wir lernen wieder zu verzichten", erzählen die Teilnehmerinnen. Lew Tolstois Erzählung "Die drei Fragen des Kaisers" hat sie tief berührt. Darin trifft der Kaiser auf einen Einsiedler. Er hilft ihm beim Umgraben. Dank dieser Tat entgeht er einem Mord. "Die wichtigste Zeit ist die, in der du gerade bist", sagt der Einsiedler. "Der wichtigste Mensch ist der, mit dem du gerade sprichst. Und die wichtigste Aufgabe war, mir zu helfen. Es gibt nur eine wichtige Zeit im Leben - und die ist jetzt."
Von Andreas Kirschke