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Kirchbau war Gemeindebau

Ein Rückblick auf den Bau neuer Kirchen in der DDR

Die Geschichte des Kirchenbaues in der DDR hat viele Facetten: Mangelwirtschaft und Ideenreichtum, Drangsalierung und künstlerische Freiheit, städtebauliche Verdrängung und überzeugende Sakralräume. Die schönsten Baukörper wurden die Kirchengemeinden selbst.

1978 wurde in Hoyerswerda der Grundstein für den Bau der katholischen Kirche St. Thomas Morus gelegt.

Die Bautätigkeit in den katholischen Pfarrgemeinden in der DDR hat "für die Gemeindebildung, für das Zusammenwachsen der Gemeinden, für eine ganze Generation ganz viel bewirkt", sagt Gerold Schneider. Der frühere Baubeauftragte des heutigen Bistums Dresden-Meißen weiß, wovon er spricht. Der 81-jährige Geistliche war viele Jahre als "Baupfarrer" in der Diaspora tätig: Als junger Kaplan in Kamenz bekam er seine Feuertaufe: Ein Lokschuppen der ehemaligen Steinbruchbahn wurde zur "Waldkapelle Oßling" umgebaut. Der ruinöse Industriebau, ein langer Schlauch von 24 Meter Länge und fünf Meter Breite, war eine gestalterische Herausforderung für den Kamenzer Künstler Gottfried Zawadzki. Zusammen mit Kaplan Schneider setze er den Altar konsequent in die Mitte des Sakralraumes. Der gemeinschaftliche Charakter der Eucharistiefeier sollte so betont werden. Dies war für 1957 eine Provokation, wenige Jahre vor dem Konzil. Die kleine Kapelle in Oßling schrieb Geschichte im Sakralbau des 20. Jahrhunderts. Das Ringen von Bauherr, Architekt und Künstler um einen wahrhaftigen Gottesdienstraum ohne Prunk und "dekoratives Aufhübschen" wurde zum Qualitätszeugnis.

"In Oßling ist eine Art Bewegung entstanden", erzählt Pfarrer Schneider rückblickend. Diese Bewegung hatte bald ganz Ostdeutschlang erfasst. In vielen Gemeinden in der DDR, in der tiefsten Diaspora, aber auch in katholisch geprägten Landstrichen wie im Eichsfeld, im Sorbischen oder der thüringischen Rhön wurden Kirchen umgebaut. Neue Kirchen und Kapellen wurden errichtet. Wachsende Gemeinden nach dem Krieg durch Zuzug von Umsiedlern und neue liturgische Vorschriften des Zweiten Vatikanischen Konzils waren der Grund für diese Bauwellen.

Pfarrer Gerold Steiner

Da auf legalem Weg keine Baufirmen zur Verfügung standen, zudem Geld und Baumaterial knapp war, bildeten sich vielerorts kirchliche Baubrigaden. Vor allem Männer der Gemeinde, erfahrene Baupoliere, und Jugendliche fanden sich nach Feierabend und an den Wochenenden auf dem Kirchgrundstück ein: Bauhelfer putzen alte Mauerziegel ab, sumpften Buna- Kalk ein, gossen Fundamente. Laien mauerten Außenwände, richteten Dachstühle auf, bauten das erste Mal in ihren Leben einen Altar. Männer der Gemeinde, denen es sonst schwer fiel ihren Glauben zu artikulieren, legten Hand an. Sie bauten "ihr Gotteshaus".

Ihre Arbeit wurde zum Gebet, zeugnishaft, für jeden sichtbar. Ein Zeitzeuge aus Schirgiswalde schreibt: "Vier Jahre hatte die Gemeinde gebetet, geopfert und gebaut, an jedem Feierabend und an jedem Wochenende. Die Fundamente der Kapelle wurden an einem einzigen Samstagvormittag gegossen. 14 Jahre alt war der jüngste, 80 der älteste Helfer."

Kapläne und Pfarrer standen ihren Gemeinden bei. Nicht wenige der Geistlichen hatten zuvor einen Bauberuf erlernt. Als Tischler, Elektriker und Maurer brachten sie ihr Wissen ein. Andere waren begabte Organisatoren. Mancher Pfarrer, dem es nicht leicht fiel zu predigen, fand beim Kirchbau die richtige Sprache zu seiner Gemeinde. Einige Seelsorger arbeiteten für Gemeinde und Kirchbau bis zur gesundheitlichen Erschöpfung.

Die Bischöfe besuchten die Baustellen. Sie kletterten auf die Gerüste, klopften den angelernten Maurern und Zimmerleuten auf die Schultern. Die Hirten sprachen den Helfern Mut zu, würdigten ihren Einsatz, brachten ihnen einen Kasten Bier vorbei. Das gemeinsame Arbeiten schweißte die Gemeinden zusammen. Dies geschah trotz und wegen widriger Umstände im real existierenden Sozialismus. So wie das Gotteshaus an lichter Höhe gewann, so wuchs die Kirchengemeinde zusammen. Alteingesessene Gemeindeglieder und Umsiedler aus Schlesien, dem Sudetenland, aus dem Ermland fanden zueinander. Es war ein bewegender Moment, wenn nach Monaten, manchmal nach Jahren der Kirchbau endlich fertig war, dieser vom Bischof geweiht wurde: "Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land" sang dann die ganze Gemeinde voller Stolz und Dankbarkeit.

Der Kirchenbau in Ostdeutschland vor und nach dem Konzil zeigt viele Gesichter: Aus alten Industriebauten, Scheunen und Tanzsälen entstanden Kapellen und Kirchen. Engagierte Architekten und Künstler schufen bedeutende Sakralbauten und Ausstattungen. Kirchen wie "Sankt Gabriel" in Leipzig-Wiederitzsch, "Heilige Dreifaltigkeit" in Stralsund oder "Unsere liebe Frau" in Meiningen geben Zeugnis von dem Ringen um einen wahrhaftigen Kirchenbau.

Wenn in diesen Jahren viele Kirchengemeinden ihr 40. oder 50. Kirchweihjubiläum feiern, kann mit Respekt und Anerkennung auf das Gottvertrauen dieser "Gemeindebauer" zurückgeschaut werden. Respekt und sorgsamen Umgang benötigen auch die von Architekten und Künstlern geschaffenen Kirchenräume, die allzu schnell einem falsch verstandenen Verschönerungswillen zum Opfer fallen. Diese begründete Sorge, die auch Pfarrer Gerold Schneider teilt, sollte alle Verantwortlichen sensibilisieren: Diese Gotteshäuser sind mehr als ein sakrales Erbe.

Von Thomas Backhaus


Hintergrund

Fakten und Beispiele


In den Jahren 1945 bis 1968 war der Kirchenbau mit 25 wieder aufgebauten Kirchen, 323 neu gebauten Kirchen und Kapellen, 14 aufgestellten Kirchenbaracken, 302 erneuerten oder umgestalteten Kirchen sowie fünf übernommenen historischen Kirchen eine Schwerpunktaufgabe in den ostdeutschen Jurisdiktionsgebieten.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) beschloss Veränderungen von liturgischen Vorschriften. Dies löste eine Welle von Umgestaltungen vieler Sakralräume aus. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden Kirchen und Gemeindezentren als so genannte Limex-Bauten mit Unterstützung der westdeutschen Diözesen gebaut. Eine allgemeine Statistik über deren Anzahl ist nicht bekannt.

Bedeutende Kirchenbauten in dieser Zeit: katholische Pfarrkirche St. Gabriel Leipzig-Wiederitzsch (1968/69), katholische Pfarrkirche Heilige Dreifaltigkeit Stralsund (1966/67), katholische Pfarrkirche Unsere liebe Frau Meiningen (1967-72). tb

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