Zwischen Krankheit und Straftat
Jesuitenpater Hermann Kügler über Pädophilie aus psychologischer Sicht
Leipzig (ee). Sind Homosexualität und der Zölibat Ursachen für pädophile Übergriffe von Geistlichen? Nein - so die Antwort von Jesuitenpater Hermann Kügler. In einem Vortrag ging er auf Fragen ein, die Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche derzeit beschäftigen.
"Pädophilie bedeutet übersetzt ‚Liebe zu Kindern‘. Aus Respekt vor den Opfern sollte man diese Verniedlichung vermeiden und besser von Pädosexualität sprechen", erklärte der Jesuitenpater Hermann Kügler kürzlich in einem Vortrag über Pädophilie, Homosexualität und Zölibat.
In den vergangenen Wochen seien diese Themen im Zusammenhang mit dem lawinenartigen Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche immer wieder in einen Topf geschmissen worden. Dabei sei eine genaue Differenzierung der Begriffe bei einem derart sensiblen Thema notwendig, betonte Kügler. Der Leiter der katholischen Kontaktstelle Orientierung in Leipzig ging deshalb in seinem Vortrag zunächst ausführlich auf die Definition von Pädophilie ein.
Aus psychologischer Sicht muss laut Kügler unterschieden werden, ob sich der Täter sexuell eher zu Kindern oder zu Jugendlichen hingezogen fühlt. Letzteres würde unter den Begriff Ephebophilie fallen, die nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht als sexuelle Störung mit Krankheitswert beschrieben wird. Hermann Kügler erklärt: "Es gibt Kulturen, in denen beispielsweise der Geschlechtsakt mit zwölfjährigen Mädchen akzeptiert wird." Entscheidend sei hier der soziale Kontext. "In Deutschland gelten solche Übergriffe deshalb zurecht als Straftat."
Woher pädophile Neigungen kommen, sei noch nicht völlig erforscht. Hinzu kommt, dass nicht jeder Täter tatsächlich pädophil ist, erläutert Pater Kügler. Dies mildere die Straftat nicht, sei aber relevant für eine therapeutische Behandlung des Täters. "Eine Heilung von Pädophilie ist nicht möglich."
Pädophile können bis ins hohe Alter rückfällig werden
Kügler formulierte in diesem Zusammenhang die Frage, ob es nicht in Zukunft Pädophile geben könnte, die ähnlich einem trockenen Alkoholiker, ihren sexuellen Impuls kontrollieren könnten und zum öffentlichen Bekenntnis fähig wären. Er halte dies grundsätzlich für denkbar, aber in den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für unwahrscheinlich. Gleichzeitig stehe fest, dass Pädophile bis ins hohe Alter rückfällig sein können.
Im Kontext der Kirche müsse man Wege finden, den Blick für potentielle Täter zu schärfen, forderte Kügler. Aber: "Es ist kaum möglich, von vornherein festzustellen, ob jemand sexuell an Kindern interessiert ist. Der Täter sucht sich sein Umfeld - manchmal durchaus unbewusst."
"Homosexuelle Priester stellen keine Gefahr dar!"
In der Priesterausbildung müsse klar über die eigenen Sexualität gesprochen werden. "Ein sexuell reifer Mensch ist imstande, seine sexuellen Impulse zu kontrollieren." Der Jesuitenpater und Pastoralpsychologe plädierte für eine Kultur des Hinsehens, die auch "Frühwarnsystem" sein kann.
Kügler zog außerdem eine deutliche Abgrenzung zwischen Homosexuellen und Pädophilen. "Es sind am häufigsten heterosexuelle Männer, die pädophile Neigungen entwickeln. Homosexuelle Priester stellen daher von ihrer sexuellen Präferenz her keine Gefahr für Kinder und Jugendliche dar." Schätzungen zufolge gibt es rund 20 Prozent homosexuelle Priester. "Es darf nicht unterstellt werden: Wer homosexuell ist, lebt nicht zölibatär oder ist ein Verfechter sexueller Freizügigkeit", so der Jesuitenpater.
Auch der Zölibat ist für Pater Hermann Kügler nicht der Grund für ein gestörtes Sexualverhalten. Laut eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts an der Berliner Charitè liege die Wahrscheinlichkeit eines sexuellen Übergriffs bei nicht zölibatär lebenden Männern 36 Mal höher als bei zölibatär Lebenden. Deutlich fügte Kügler hier hinzu, damit keinerlei Verteidigung oder Verharmlosung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zu beabsichtigen.
Auf einem anderen Blatt stehe, ob der Zölibat als Zulassung zum Priesteramt gerechtfertigt sei. "Wer ein Keuschheitsgelübde ablegt, wie zum Beispiel Ordensleute, der steht nicht nur in der Nachfolge, sondern lebt auch wie Jesus. Argumente wie ,Der Priester muss alleine bleiben, um mehr Zeit für die Gemeinde zu haben‘ können nicht stimmen: Wer glücklich in einer Beziehung lebt, weiß, wie viel Kraft er für seine Aufgaben daraus schöpfen kann."
Dass aber Ehelosigkeit zu sexuellen Störungen führe, sei ganz klar zu verneinen: "Eine reife Persönlichkeit, die einen angemessenen Umgang mit Männern, Frauen und Kindern pflegt, kann in der Berufung zur Ehelosigkeit Glück und Freiheit erfahren."