Anstoß
Mit leeren Händen
In Südafrika haben Wissenschaftler Überreste der vermutlich ersten Menschen entdeckt. Diese Nachricht war vor kurzem in der Berliner Zeitung zu lesen. Einmal mehr halten wir damit ein Stück Sicherheit über die Entwicklung des Menschen in den Händen. Mit jeder neuen Entdeckung wird unser Wissen sicherer. Ich stelle es mir spannend vor, die Spuren der Menschwerdung überall in der Welt zu verfolgen. Aber ich frage mich dennoch: Was haben wir gewonnen, wenn wir diese Entwicklung einmal lückenlos werden darstellen können? Welche Sicherheit gibt uns dieses Wissen in Bezug auf die Fragen nach unserem Woher und Wohin?
Zur selben Zeit wurde in den Medien mitgeteilt, dass in diesem Jahr das Grabtuch von Turin zu sehen sein wird. Das letzte Mal wurde das berühmte Tuch vor zehn Jahren ausgestellt. Die einen glauben, in diesem Tuch wurde Jesus Christus von Josef von Arimatäa bestattet. Die anderen wollen das Gegenteil beweisen. Auch hier könnte man fragen: Warum fahren Menschen aus aller Welt nach Turin, um sich ein Tuch anzusehen? Was würden wir gewinnen, wenn wir seine Echtheit zweifelsfrei beweisen könnten?
Die Antwort darauf ist einfach. Es geht um Sicherheit. Wie Wissenschaftler nach immer neuen Beweisen für die Herkunft des Menschen suchen, sehnen sich religiöse Menschen nach Sicherheiten für ihren Glauben. Aus dem gleichen Grund sammeln Menschen Bilder und Berichte von Wundern. Sie wollen ein kleines Stück Sicherheit in den Händen halten. Aber genau darin liegt das Problem. Ein Besuch in Turin lohnt sich nur für den, der an Jesus Christus glaubt. Bilder und Berichte von Wundern erschließen sich nur den Menschen, die an sie glauben.
So war es schon in biblischer Zeit. In der Apostelgeschichte ist die Rede von Wundern und Zeichen, die durch die Apostel geschehen sind. Zeichen für die Kraft der Auferstehung, die in den Jüngern Jesu am Werk ist. Wenn wir jedoch an die ersten Berichte von der Auferstehung denken, sieht das noch ganz anders aus. Die Jünger und Jüngerinnen stehen mit leeren Händen da. Das Grab ist leer. Es bietet keine Sicherheiten. Den Jüngern und Jüngerinnen bleibt nur der Glaube.
Darin teilen wir bis heute das Schicksal der Apostel; auch wir stehen da mit leeren Händen. Es sind Hände wie die des Apostels Thomas, der ausspricht, was wir vielleicht denken: "Wenn ich nicht ... sehe, ... glaube ich nicht." (Johannes 20,25). Es sind Hände, die sich nicht mit Bildern und Wundern zufriedengeben. Darum darf Thomas seine leeren Hände in die Seite des Auferstandenen legen, um des Lebens gewiss zu sein. Das ist eine Gewissheit, die auch wir in unserem Fleisch und Blut erlangen können. Denn hier ist es der lebendige Gott, der unser Leben in jedem Augenblick trägt. Es ist die Gewissheit leerer Hände, die das Leben ergreifen.
Kaplan Marko Dutzschke, Cottbus