Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Anstoß

Zweifel des Kopfes, Zweifel des Bauches

Pater Bernhard Kohl

In den Evangelien stehen die Berichte über die Wunder, die sich in der Zeit unmittelbar nach dem Kreuzestod Jesu ereignen in einer klaren Spannung zwischen Sehen und Hören, zwischen Glaube und Zweifel. Dabei ist es gar nicht so überraschend, dass die Evangelien gerade dieses weite Feld von Glaube und Zweifel jeweils ganz an ihrem Schluss intensiver als jemals zuvor behandeln: Schließlich berichten sie mit der letzten Begebenheit, der Auferstehung Jesu, das mit Abstand am schwersten zu glaubende Ereignis im Neuen Testament. Und das relevanteste.

Die Evangelisten tun dabei wirklich ihr Möglichstes, um angesichts des bevorstehenden Abschiedes von ihren Lesern sicherzustellen, dass alles, was sie ihren Lesern an Überzeugungskraft und Glauben mitgeben wollten, auch bei ihnen ankommt. Ich denke da an die Erzählung von Thomas, die in epischer Breite über den Zweifel des Apostels Thomas, seine Forderung gegenüber Jesus und letztendlich seinen Glauben berichtet. Thomas sieht - und glaubt. Wir heute gehören nun aber zu den, wie es im Johannesevangelium heißt, Seligen, die nicht sehen und dennoch glauben sollen, müssen, können, dürfen …

Aber egal, ob es mir leichter oder schwerer fällt zu glauben: Wer niemals zweifelt, der macht sich vermutlich etwas vor. Oder er ist schon eingeschlafen. Zweifel sind nämlich wie krabbelnde Ameisen unter dem Hosenbein. Sie sorgen dafür, dass ein Glaube wach und lebendig bleibt. Nun gibt es zwei Arten von Zweifel: Zweifel des Kopfes und solche des Bauches. In meinem Kopf gibt es fast nichts, das ich nicht bezweifeln könnte: die Kraft der Sakramente, die Bedeutung der Kirche, die Auferstehung Jesu, die Existenz Gottes. Aber selbst wenn ich in meinem Kopf alles bezweifle, dann lebe ich doch häufig weiter, als wäre nicht das Geringste geschehen.

Bei Zweifeln des Bauches ginge das nicht. Zweifel des Bauches habe ich noch nie erlebt. Jesus kannte sie. Als er schrie "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" wollte er nicht ein theologisches Problem erörtern oder Psalm 22 zitieren. Vielmehr hatte er in den Abgrund geschaut und dort eine Finsternis erfahren, die ihn im tiefsten Inneren erschütterte. Ich glaube, dass Gott solche Erfahrungen der Finsternis nur bei Heiligen zulässt. Wir Übrigen haben nie solche Zweifel, aber vielleicht auch nie solchen Glauben. Nur selten spüren wir im Bauch, wie es ist, wenn man vom Licht umfangen wird - wenn man die Auferstehung Jesu glaubt.

Pater Bernhard Kohl
, Kloster St. Albert Leipzig-Wahren

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps