"Wir brauchen eine Vision"
Gespräch mit dem Magdeburger Bischof Gerhard Feige vor dem Ökumenischen Kirchentag
Magdeburg. Als Mitglied der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und Katholik im Land Luthers meldet sich der Magdeburger Bischof Gerhard Feige immer wieder zu Fragen der Ökumene zu Wort. Der Tag des Herrn sprach mit ihm vor dem Ökumenischen Kirchentag.
Herr Bischof, am 12. Mai wird in München der zweite Ökumenische Kirchentag eröffnet - eine Chance für die Christen, als lebendige Gemeinschaft positiv in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden?
Anliegen von Kirchentagen ist es zunächst einmal nicht, Imagepflege für die Kirche zu betreiben. Solche Treffen sind Tage des gemeinsamen Betens, Feierns und Nachdenkens. Und sie wollen - und dies geschieht bei einem ökumenischen Kirchentag ausdrücklich von katholischen und evangelischen Christen gemeinsam - das Evangelium fruchtbar in die Gesellschaft einbringen.
Können gemeinsame Kirchentage die Ökumene voranbringen?
Kirchentage sind so etwas wie Barometer und Seismographen. Sie geben die augenblickliche Situation wieder und deuten gegebenenfalls die Richtung von Veränderungen an. Sie bringen mehr Befindlichkeiten zum Ausdruck, als dass sie Gelegenheit bieten, Probleme differenziert betrachten und lösen zu können. Sie sind Ausdruck gemeinsamen Glaubens und Handelns und darin haben sie ihre Bedeutung. Ich halte sie für wichtig. Darum habe ich mit der Bischöfin der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, Ilse Junkermann, und dem Kirchenpräsidenten der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, mit einem ökumenischen Gottesdienst in Magdeburg ein Signal zur Teilnahme gegeben und bin gegen jegliche Aufrufe zum Boykott des Treffens in München, wie es sie auch gibt.
Wie steht es um die Ökumene in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus?
Im Bistum Magdeburg mache ich damit viele positive Erfahrungen. Auf der Ebene der Kirchenleitungen praktizieren wir einen vertrauensvollen Umgang und interessieren uns intensiv für die Situation der anderen Kirche. Bei Visitationsreisen durch die Gemeinden und Regionen erlebe ich viel selbstverständliche ökumenische Zusammenarbeit zum Beispiel im kirchenmusikalischen Bereich oder im Blick auf Aktionen wie dem Weltgebetstag der Frauen. Ich stelle aber auch fest, dass es weitgehend die Älteren sind, denen die Ökumene wichtig ist. Über unser Bistum hinaus hängt das ökumenische Miteinander von regionalen Besonderheiten ab und ist wohl recht unterschiedlich ausgeprägt. Auf institutioneller Ebene gibt es eine Menge Zusammenarbeit, etwa bei der Woche für das Leben. Zudem finden regelmäßige Gespräche zwischen Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland oder auch mit der Orthodoxen Bischofskonferenz statt.
Was gehört zu einem guten ökumenischen Miteinander?
Ganz wesentlich ist ein vertrauensvoller und fairer Umgang miteinander. Wenn man sich versteht, kann man offen über alle Probleme reden. Zur Ökumene gehören für mich Herz und Verstand. Wichtig ist, dass man eine geistliche Grundlage findet, die sich in gemeinsamem Gebet und Gottesdienst ausdrückt. Zudem kann man seine Verantwortung im gemeinsamen Tun wahrnehmen. Zu guter Ökumene gehört auch, mit dem anderen mitzuleiden und sich mit ihm zu freuen. Gute Ökumene schließt aus, sich an den Schwächen des anderen zu profilieren, sondern heißt, dem anderen mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen.
Im Rahmen der Lutherdekade vor dem Reformationsjubiläum 2017 soll im nächsten Jahr das Thema "Freiheit" im Mittelpunkt stehen. Sie wehren sich gegen eine tendenziell einseitige Vereinnahmung des Themas durch den Protestantismus ....
Wer genau hinschaut, ist erstaunt, wie viel Vielfalt, Weite und Freiheit in unserer katholischen Kirche möglich und gewollt ist. Wir sind eine Weltkirche, in der verschiedenste Völker und Nationen, Rassen und Klassen, Kulturen und Parteien, Lebensweisen und Meinungen ihren Platz haben. Unsere Kirche ist nicht nur römischlateinisch ausgerichtet; es gibt verschiedenste Riten und recht eigenständige Ortskirchen östlicher Tradition, deren Bischöfe nicht direkt vom Papst ernannt werden und in denen zum Beispiel neben ehelosen Geistlichen auch verheiratete Priester selbstverständlich sind. Oder: Wie viele Orden und geistliche Bewegungen sind in unserer Kirche entstanden, mit sehr unterschiedlichen Ansätzen. Auch die Ausprägungen der Volksfrömmigkeit oder der Ökumene machen deutlich, wie bunt es in unserer Kirche zugeht.
Vielfalt und Freiheit sind ja auch bibeltheologisch geboten …
Glaubende und getaufte Menschen sind nach paulinischem Verständnis grundsätzlich von der Sünde frei und vom Gesetz und vom Tod befreit. Nach Karl Rahner ist die Kirche, insofern in ihr der Geist Gottes wirkt, der alleinige Ort, von dem gilt: Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Auch wenn unsere Kirche in mancherlei Hinsicht dogmatische und ethische Grenzen zieht, ist in ihr, wie es Rahner formuliert, "eine Zone der Freiheit gegeben, in der der einzelne Christ sich, seinem Gewissen und der Führung des Heiligen Geistes so sehr überlassen bleibt, dass der Einzelne die Last und Verantwortung dieser Freiheit gar nicht auf die Kirche abwälzen kann". Diese gilt es zu gestalten. Auch in unserer Kirche bleibt also die gottgewollte Freiheit ein zentrales Thema und eine prickelnde Herausforderung.
Beim Kirchentag werden ökumenische Fragen wie auch die nach dem gemeinsamen Abendmahl - besonders für konfessionsverbindende Paare - und viele andere Aspekte diskutiert. Dabei kommen sehr unterschiedliche Positionen zur Sprache. Gibt es in unsere Kirche auch zwischen den Kirchentagen genügend Raum, solche Themen zu bedenken?
Fragen der Ökumene werden kontinuierlich zum Beispiel zwischen den entsprechenden Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) behandelt. Raum für die Diskussion bieten auch die Akademien oder die kirchlichen Medien. Zudem werden innerkirchliche Debatten über die Medien verstärkt. Im evangelischen Raum werden Themen, die in der Luft liegen, bei Synoden behandelt. In unserer Kirche können Bistumsversammlungen, wie wir sie in unserer Diözese für nächstes Jahr zum zweiten Mal planen, einen solchen Rahmen bieten. Ob dies als Raum für den Austausch genügt, ist schwer zu sagen.
Ist es für die Kirchen in Deutschland nicht allerhöchste Zeit, Differenzen hintenanzustellen und gemeinsam das Evangelium zu verkünden?
Es gilt, die konfessionellen Stärken und Schätze der Konfessionen für die Verkündigung des Evangeliums fruchtbar zu machen. Ökumene bedeutet nicht, alle Besonderheiten abzuschaffen. Ein eigenes Profil zu haben zeugt von Klarheit. Mit Medard Kehl halte ich eine Position für falsch, die sagt: "Wir glauben so wenig, das können wir auch ruhig gemeinsam tun." Das ist kein guter Ausgangspunkt. Es ist wichtig, die verschiedenen Prägungen einzubringen. Beide Kirchen leiten sich selbstverständlich von der Heiligen Schrift her, doch sie deuten diese aus Sicht ihrer jeweiligen Gewährsleute. Dies darf deutlich werden, aber nicht, um sich gegeneinander zu profilieren.
In welche Richtung muss sich das Miteinander der Christen auf dem Weg zur Einheit weiter bewegen?
Wir müssen weiter an einer gemeinsamen Vision von der Einheit arbeiten. Hier liegt ein Stück unseres Dilemmas in der Ökumene: Wir sind zu neuen Ufern aufgebrochen, aber es fehlt an einer konkreten Vision. Während unsere Kirche eine sichtbare Einheit erst nach vorheriger Lösung zentraler Kontroversfragen - wie vor allem dem Kirchen- und Amtsverständnis - anstrebt, favorisiert die evangelische Kirche zunehmend eine wechselseitige Anerkennung bei bleibenden Differenzen. Für evangelische Vertreter scheint das katholische Verständnis von Einheit zunehmend in den Verdacht von Vermassung, Uniformierung, Zentralismus und Entmündigung zu geraten. Stattdessen wird Verschiedenheit zum Ideal und die Entfremdungs- und Spaltungsgeschichte kaum noch als Tragik, sondern eher als erfreuliche Entwicklung zu mehr Buntheit gesehen. Die "Einheit in Vielfalt" ist ohne Zweifel ein zukunftsträchtiges Modell. Aber es bleibt die Frage, wie viel Vielfalt möglich ist, ohne die Einheit zu gefährden. Für sehr wichtig halte ich, dass das positiv Erreichte in der Ökumene, darunter auch die in theologischen Gesprächen herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten, sich in unseren Gemeinden und Kirchen wirklich zu eigen gemacht wird.
Woran denken Sie dabei konkret?
Ich denke an das Verständnis von der Taufe, aber auch an die teilweise erreichten Übereinstimmungen im Blick auf das Eucharistie- und das Amts- und Kirchenverständnis. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Handlungsfelder hinsichtlich von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Hier ist eine noch viel stärkere Vernetzung denkbar. Und in diesen ethisch-gesellschaftlichen Fragen wird sich hoffentlich auch der Ökumenische Kirchentag in München zu Wort melden und wegweisend sein.
Interview: Eckhard Pohl