Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

Anstoß

Leben und sterben

Schwester Susanne Schneider

Der Tod ist groß / wir sind die Seinen. / Wenn wir uns mitten im Leben meinen, / wagt er zu weinen, / mitten in uns.

Vielleicht meinte Rainer Maria Rilke mit "mitten im Leben" den Mai - denn wenn draußen in der Natur alles grünt und sprießt und blüht, gibt es Augenblicke, die an den Tod erinnern.

Auch Simone Weil sah einen Zusammenhang zwischen dem vollen Leben und dem Tod. Sie war von der Schönheit der Kirschblüten hingerissen. Doch wenn sie welche sah, musste sie daran denken, dass Kirschblüten nur wenige Tage in voller Pracht erblühen. So erinnerten die Kirschblüten sie an die Vergänglichkeit des Lebens und den Tod.

Jesus kennt solche Überlegungen, denn er gibt seinen Jüngern einen Hinweis, wie sie mit den Gedanken über Leben und Tod umgehen können: "Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen" (Mt 16,25). Diese Aussage ist paradox. Sie will vor allen Formen einer zwanghaften Lebenssicherung warnen, davor, sich an irgendein geschaffenes Gut um jeden Preis anzuklammern. Wir leben in einer endlichen und vergänglichen Welt. Wenn wir an diese endliche und vergängliche Welt unser Herz hängen, dann vertrauen wir auf etwas, auf das letztlich kein Verlass sein kann.

Im Glauben aber vertrauen wir auf Gott und können deshalb anders leben. Glauben bedeutet: Aus einer letzten Geborgenheit leben, die im Leben und im Sterben gilt. Wer im Glauben gewiss ist, dass er in eine unverbrüchliche Gemeinschaft mit Gott aufgenommen ist, kann mit der Endlichkeit und Vergänglichkeit der Welt in einer ganz neuen Weise umgehen.

So schlage ich als Übung vor, sich über die Schönheit der Natur zu freuen und - vielleicht angesichts der Vergänglichkeit der Schönheit - sich im Licht des Glaubens auf die eigene Sterblichkeit zu besinnen. Vielleicht mag dieser Vorschlag gerade jetzt im Mai etwas überraschend wirken. Aber der Gedanke an den Tod macht die Christen ja nicht depressiv oder traurig, sondern hilft, wesentlicher zu werden und das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. So kann man täglich neu das "Sterben" üben, indem man etwas, was einem wichtig und wertvoll erscheint, zugunsten eines größeren Wertes loslässt. Dann könnte sich in kleinen und unscheinbaren Anfängen zeigen, dass man wirkliches Leben gerade dann findet, wenn man es verschenkt.

Schwester Susanne Schneider (Missionarinnen Christi), Kontaktstelle Orientierung Leipzig

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps