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Baukunst oder Kastenbau

Leipziger Kulturstiftung lud zum Streitgespräch über den Propstei-Neubau

Leipzig. Ein Streitgespräch sollte es werden, so war die Veranstaltung betitelt. Gestritten wurde aber erst in der abschließenden Diskussion mit dem Publikum. Auf dem Podium zeigten sich alle begeistert von der Architektur des geplanten Neubaus der Leipziger Propsteikirche.

Am Ende sprang die Moderatorin für den Neubau in die Bresche: "Schauen Sie sich die Gebäude der Architekten Schulz & Schulz doch einfach an", appellierte Annette Menting, Architekturprofessorin an der Hochschule für Technik, Wissenschaft und Kultur. "Das ist in allen Fällen hoch anspruchsvolle Baukunst." Vertrauen sollten die Bürger den Architekten und der Jury, die diesen Vorschlag ausgewählt hat, entgegenbringen. Der Bau sei eine sehr spezifi sche Antwort, angepasst an sehr spezielle örtliche Gegebenheiten. Menting reagierte auf Reaktionen aus dem Publikum, die sich der Einvernehmlichkeit der eingeladenen Diskutanten widersetzten. Ein Kasten sei der Bau, es fehle das Einladende, hieß es. Andere widersprachen, lobten die ausgefeilte Lichtkomposition des Innenraums. Es überwog aber die Kritik.

Der Neubau der Propsteikirche erhitzt weiterhin die Gemüter. Die Leipziger Kulturstiftung hatte zur Diskussion eingeladen: "Der Neubau der katholischen Propsteikirche - architektonisches Highlight am Ring?" Fast alle Plätze in der Aula der alten Nikolaikirche waren besetzt, auf dem Podium tummelten sich gleich fünf Kenner der Materie. Neben Annette Menting saßen Pfarrer Gregor Giele, der Architekt Benedikt Schulz, das Jurymitglied Martin zur Nedden, Beigeordneter für Stadtentwicklung der Stadt Leipzig, und der Architekturkritiker Arnold Bartetzky.

Eineinhalb Stunden hatten sie Zeit zu debattieren. Da sie sich im Großen und Ganzen einig waren, wurde aus der Debatte allerdings eher eine vertiefende Vorstellung und Begründung des Projekts - eine sinnvolle Maßnahme, um in sachlicher Ruhe die Vorzüge und die Motivationen noch einmal darstellen zu können.

Hervor tat sich dabei vor allem Pfarrer Giele. Er lenkte die Aufmerksamkeit weg von der äußeren Formensprache des Kirchgebäudes hin zum atmosphärischen Kern. Denn darin, in einer authentischen Atmosphäre, liege der Repräsentanzanspruch einer Kirche des 21. Jahrhunderts verborgen. "Das Licht soll gleichzeitig Offenheit und Geborgenheit schaffen, eine große Menschenmasse muss in dem Gotteshaus feiern können, genau so wie sich der Einzelne, im Gebet versunken, wohlfühlen soll." Der Bau der Kirche sei in die Zukunft gerichtet, sagte Giele. Deshalb spreche er auch immer vom Neubau und nicht vom Wiederaufbau - ein entscheidender Unterschied zum Paulinum, das eher eine Wiederbelebung von Geschichte in modernem Gewand ist. Für den Architekturkritiker Arnold Bartetzky bildet eben das Paulinum die Negativfolie, von der sich der Kirchneubau in seinen Augen wohltuend abhebt. Die Kirche, sagte er, setzt Qualitätsmaßstäbe: Gerade deshalb, weil den Architekten der Spagat gelungen sei, eine gewisse skulpturale Eigenständigkeit zu bewahren und sich gleichzeitig den Gegebenheiten anzupassen. Baudezernent zur Nedden bezeichnete den geplanten Neubau als selbstbewusst und selbstverständlich. Er trete gerade nicht in Konkurrenz zum Rathaus, sondern behaupte sich ihm gegenüber auf unprätentiöse Weise.

Den Architekten Benedikt Schulz bewegen zurzeit gar nicht mehr so sehr die Fragen nach dem Gesamtbau, sondern die Detailumsetzung. Ein in dieser Form in keiner Kirche vorhandenes fünfundzwanzig Meter langes Fenster soll den Blick auf den Ring gewähren. Jetzt müssen die Architekten auszutüfteln, wie die Einsicht von außen mit der meditativen Ungestörtheit des Gebetsraumes verbunden werden kann. Parallel dazu bleibt es ihre Aufgabe, die hoch anspruchsvolle Baukunst den Bürgern nahezubringen, auch die kritischen Wortführer aus dem Publikum zu überzeugen. Behinderte besser

Von Kilian Trotier

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