Gewalt hat viele Gesichter
Neue Caritas-Beratungsstelle "Handschlag" wendet sich an Gewalt-Täter
Chemnitz. Sie unterstützen die Täter in Fällen häuslicher Gewalt, helfen damit aber auch den Opfern: Die Mitarbeiter der neuen Chemnitzer Beratungsstelle "Handschlag".
"Du bist selbst schuld", sagt der Mann, der seine Ehefrau verprügelt hat. "Hättest du das Mittagessen pünktlich auf den Tisch gebracht, wäre es gar nicht passiert." Markus Kehrer versucht Gewalttätern in der Beratung bewusst zu machen, dass sie für ihr Handeln selbst verantwortlich sind. Vor fast einem Jahr begann der Sozialpädagoge, die Chemnitzer Caritas- Beratungsstelle "Handschlag" mit aufzubauen.
Die Männer, die seinen Dienst am Chemnitzer Sonnenberg oder im Zwickauer Gemeindezentrum Manufaktur in Anspruch nehmen, wollen ihr gewalttätiges Verhalten ändern. Manche kommen freiwillig, beispielsweise weil sie darin die letzte Chance zur Rettung ihrer Partnerschaft sehen. Andere werden von anderen Einrichtungen wie den Interventions- und Koordinierungsstellen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt vermittelt oder bekommen die Beratung etwa als Auflage vom Staatsanwalt.
Nicht der große Vorsatz "Ich will nie wieder schlagen" ist es, der nach Markus Kehrers Erfahrung zum Erfolg führt. Es sind eher die kleinen Schritte.
Im Umgang mit der Partnerin etwas respektvoller zu sein, kann solch ein Schritt sein oder der Vorsatz, Wut nicht einfach herunter zu schlucken, sondern sich die eigenen Gefühle einzugestehen. Bei einigen Klienten zeigt auch die Reduzierung des Alkoholkonsums positive Wirkung.
Noch ist die Zahl der Beratungen, die Markus Kehrer in Chemnitz und Zwickau durchgeführt hat, klein. Mit sehr schweren Fällen hatte er bisher gar nicht zu tun. Mit Gruppenarbeit, die künftig den Schwerpunkt seiner Tätigkeit darstellen soll, konnte er noch nicht beginnen. Von Beratungsstellen in Leipzig und Dresden, die schon länger in der Täterberatung aktiv sind, hat er jedoch gelernt, dass es Täter in allen sozialen Schichten gibt. Häufiger als man gemeinhin annimmt, kommt es in Familien zu Gewalt unter Erwachsenen, weiß der Chemnitzer Sozialpädagoge.
Täter sind Männer und Frauen aus allen Schichten
Und: Auch Frauen werden keinesfalls selten zu Täterinnen. In der Chemnitzer Beratungsstelle ist deshalb mit Christine Weigel auch eine Frau beschäftigt. Dass sie bisher noch niemanden beraten hat, hängt nicht allein damit zusammen, dass "Handschlag" noch nicht überall bekannt ist. "Gewalt durch Frauen kommt nur selten zur Anzeige", sagt die Beraterin. Für die betroffenen Männer ist es eine Frage des Selbstwertgefühls und der Glaubwürdigkeit, die eigene Partnerin anzuzeigen: Selbst bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft werden Männer, die Opfer einer Frau geworden sind, häufig nicht ernst genommen.
Gewaltloses Handeln wird eingeübt
Nicht allein aus diesem Grund gehört es zu den Aufgaben von "Handschlag", Polizisten über die eigene Arbeit zu informieren. Bei Polizeischulungen haben die beiden Berater beispielsweise erlebt, dass längst nicht allen Polizisten bewusst war, wie wichtig es ist, Tätern die eigene Verantwortung für ihr Tun deutlich zu machen. "Die Frau hat ja so lange gestichelt, da blieb dem Täter doch gar nichts anderes übrig als zuzuschlagen", hörten sie unter anderem aus dem Munde eines Beamten.
Dass Tätern durchaus anderes übrig bleibt, können sie während der Beratungszeit in Gesprächen und Rollenspielen bei "Handschlag" lernen. Sie könnten rausgehen, bevor die Wut in ihnen hochgekocht ist, sie könnten die Frau bereits bei der ersten Stichelei anlächeln … Markus Kehrer ermutigt die Täter auch, sich bewusst zu machen, wo sie selbst im Laufe ihres Lebens Opfer geworden sind. Dies soll ihnen nicht Anlass sein, ihr Verhalten im Nachhinein zu rechtfertigen, aber es kann sie aufmerksamer machen für Gewalt, ihre Auslöser und ihre Folgen.
Gewalt fängt nicht erst bei Ohrfeigen, Treten, Schütteln, Würgen und Vergewaltigen an, erfahren sie in der Beratungsstelle. Auch nicht handgreifliche Formen von Gewalt können tiefe Verletzungen hinterlassen: Einsperren und Kontaktverbote zum Beispiel oder - oftmals unterschätzt - Herabwürdigen und Beleidigen.
Beratungstermine werden vergeben unter Telefon 03 71 / 4 32 08 28 oder per E-Mail Taeterberatung@caritaschemnitz.de
Von Dorothee Wanzek