Anstoß
Wer bin ich? Bischof gesucht!
Vor 1000 Jahren wurde ich geboren. Groß wurde ich auf einer Burg in der Nähe von Hildesheim. Dort war mein Onkel Bischof und nahm mich als Fünfjährigen in die Domschule auf. Da lernte ich Latein und Rechnen und viele nützliche Dinge. In aller Bescheidenheit darf ich sagen, dass ich mich als Schüler nicht allzu schlecht gemacht habe, denn der Kaiser holte mich nach Goslar an ein besonderes Chorherrenstift. Das war wie die Berufung in die Nationalmannschaft, heute würde man vielleicht Managerschmiede dazu sagen. Denn hier wurden Geistliche für Leitungsaufgaben im ganzen Reich vorbereitet. Dass ich Bischof wurde, habe ich aber einem ungeklärten Todesfall zu verdanken. Ursprünglich hatte der Papst den Goslaer Stiftspropst als Bischof für ein Bistum an der Elbe vorgesehen.
Doch kaum hatte er die Ernennungsbulle in der Hand, starb er. Ob aus Schreck oder aus Freude, weiß ich nicht. In diesem Zustand konnte er nun allerdings nicht mehr in den Osten reisen und so fiel das Los auf mich. "Kofferpacken und abmarschieren", hieß es da. Der Legende nach habe ich sogar meine alte Mutter mitgenommen und sie hat noch lange Zeit in einem sorbischen Dorf gewohnt.
Ich habe die Eigenschaft, dass ich zu wenig angepasst bin und oft zur falschen Zeit auf der Bildfläche erscheine. Im Streit zwischen Papst und Kaiser versuchte ich, mich nicht in den Krieg hineinziehen zu lassen und wurde eingesperrt und des Landesverrates bezichtigt. Dann gab es einen Gegenbischof und ich wurde abgesetzt. Was ich aus Frust mit dem Domschlüssel gemacht und wie ich ihn auf wundersame Weise zurückbekommen habe, erzähle ich Ihnen hier nicht.
Als Bischof versuchte ich mit Hilfe niedersächsischer Bauern, die Landwirtschaft zu modernisieren und kümmerte mich um das Anlegen von Teichen zur Fischzucht. Mir wird nachgesagt, mit meinem Bischofsstab Quellen aus dem Stein geschlagen und Frösche zum Schweigen gebracht zu haben. Das sind aber Legenden, die wohl zeigen, dass die Menschen mich nach meinem Tod ziemlich gemocht haben müssen. Jedenfalls baten die Sachsen und Sorben den Papst, er möge mich heiligsprechen.
Nun gut, der Brief lag lange in Rom herum und erst zur Reformationszeit fiel er den Römern wieder ein. Jetzt sprachen sie mich schnurstracks heilig und damit machte ich mal wieder Ärger. Selbst Martin Luther zog über meine Heiligsprechung her und schrieb ein ganzes Buch "Wider den neuen Abgott und Teufel". Fairerweise entschuldigt er sich gleich im Vorwort, dass er mich nicht als Person ablehnt, sondern als - seiner Meinung nach - papistisches Lügengebilde. Denn Luther hatte etwas gegen die Heiligenverehrung. Wir beide können heute im Himmel darüber nur lächeln.
Mit meiner Totenruhe war es jedenfalls aus und ich wurde in einer Nacht- und Nebelaktion nach München verfrachtet und verkauft. Seitdem bin ich dort begraben und Stadtpatron.
2006 wurde mein 900. Todestag groß gefeiert. Heute, zum 1000. Geburtstag ist es ein wenig still um mich geworden. Vielleicht, weil nicht ganz klar ist, ob mein Geburtstermin 1010 wirklich stimmt. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn sie einmal kurz an mich denken. Als Friedensstifter und unbequemen Kirchenmann, dem die Liebe zum Wort Gottes und zu den Menschen wichtiger war als Macht und Ansehen. Dafür müssen Sie aber erst einmal herausbekommen, wer ich bin.
Guido Erbrich, Bautzen