Katholiken sollen sich nicht aus falscher Scham zurückziehen
Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckhardt sprach beim zweiten Alumni-Treffen der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt über den christlichen Glauben und politisches Engagement
Erfurt (mh). Zum Auftakt des zweiten Alumni-Treffens der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt sprach die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Katrin Göring- Eckardt über "Christliche Existenz im Spannungsfeld von Kirche und Politik".
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring- Eckhardt, hat die katholischen Christen aufgefordert, sich trotz der Missbrauchsdebatte weiter in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen. "Die Scham über die jetzt bekannt gewordenen Missbrauchs- und Misshandlungsfälle in ihrer Kirche verführt viele Katholiken, sich nicht mehr einzumischen und die Gesellschaft mitzugestalten", lautete ihre Feststellung zu Beginn ihres Vortrags beim zweiten Alumni- Treffen für Absolventen der heutigen Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt. "In Zeiten gesellschaftlicher Krisen aber sind überzeugte christliche Stimmen notwendig."
Göring-Eckardt, die selbst in Leipzig evangelische Theologie studiert hat und heute auch Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, sprach vor den katholischen Theologen von ihrer Erfahrung, wenn sie Menschen erzähle, was sie studiert habe. "Theologiestudium ist etwas Besonderes, zumal hier im Osten." Neben Verwunderung ("Eigentlich bist du ja ein intelligenter Mensch - und nun das!") schaffe dieses Bekenntnis häufig einer große Vertrauensbasis. Der Glaube und ihr Theologiestudium seien wichtige Grundlagen für ihre politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten. "Ja, ich habe Theologie studiert, und darum will ich auch die Welt verändern."
Erfahrungen mit Glauben in totalitären Staaten
Göring-Eckardt erinnerte an die Erfahrungen von Christen mit gesellschaftlich-politischem Engagement in den Zeiten der totalitären Diktaturen in Deutschland. Während des Nationalsozialismus habe der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer gefordert: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen." Und zu DDR-Zeiten hätten Christen die Erfahrung gemacht, dass der "totalitäre Staat auf Granit biss, wo Gott lebendig wurde". Wenn Christen sich in der Welt einmischen, stelle sich aber auch die Frage nach dem ökumenischen Miteinander, so Göring-Eckardt weiter.
Häufig werde sie gefragt, ob christliche Existenz und Politik nicht einen ständigen Spagat bedeute. Politiker müssten doch Kompromisse eingehen. Der christliche Glaube aber sei radikal. Für sie gilt: "Wer den Glauben gefunden hat, findet für sich Orientierung und kann anderen Menschen Orientierung geben in einer Welt, die sich ständig wandelt", sagt Göring-Eckardt. Dabei gebe es aber keine "christliche Politik". "Sonst wären wir Christen ja alle in derselben Partei. Das Evangelium sagt nichts darüber, wen ich zum nächsten Bundespräsidenten wählen soll."
Unterschiedliche Entscheidungen
Zwar gebe es mit dem christlichen Menschenbild eine allen gemeinsame Grundlage, aber schon in konkreten ethischen Fragen wie etwa beim Umgang mit Stammzellen, kämen Christen zu unterschiedlichen Entscheidungen, sagte Göring-Eckardt. "Als Christen gehen wir davon aus, dass wir nicht von vornherein wissen, was richtig ist. Das entbindet uns aber nicht davon, irgendwann doch eine Entscheidung zu treffen."
In der Politik gehe es durchaus um Macht, sagte Göring- Eckardt, "allerdings nicht um Macht um ihrer selbst willen oder um Macht über Menschen, sondern um Macht, die wir für die Gestaltung der Gesellschaft brauchen."