Reiseführer Christentum
Professorin Radlbeck-Ossmann legt ein Buch vor, das verständlich in den Glauben einführen will
Magdeburg / Halle. Vorlesungen hat Regina Radlbeck- Ossmann als Professorin schon viele gehalten. In den zurückliegenden Wochen hielt sie in Magdeburg und Halle Buchlesungen und stellte das Buch "Christentum. Ein Reiseführer" vor.
Mit Wundern ist es wie mit Auffahrunfällen. Wer sich mehrere Berichte über sie durchliest, stellt fest, dass sich bestimmte Versatzbausteine wiederholen. Zum Beispiel bei Heilsgeschichten: Keine kommt ohne eine Beschreibung der Krankheit, ohne die Kontaktaufnahme zum Heiler, ohne den Akt des Heilens und ohne eine anschließende Reaktion aus.
Diese Strukturen existieren länger als die biblischen Wundergeschichten. Ihrer bedienten sich auch schon die Heiden und die Juden vor Jesu Wirken und vor der Niederschrift der Evangelien. Diese Tatsache veranlasste Theologen des 20. Jahrhunderts dazu, die biblischen Wundergeschichten vor allem als Kopien zu sehen, als symbolisch zu interpretierende Textpassagen, die nachträglich eingefügt wurden, um dem Religionsgründer Glaubwürdigkeit zu verleihen. Moderne Theologen, darunter auch die Hallenser katholische Dogmatikerin Regina Radlbeck-Ossmann, haben diese Ansicht in den vergangenen Jahren grundlegend demontiert. Denn diese Logik, so Radlbeck- Ossmann, würde konsequenterweise bedeuten, dass die jüngeren Berichte von Auffahrunfällen allesamt abgekupfert und die Unfälle daher nur Fiktion seien.
Gemeinsam mit Michael Langer, Professor für Praktische Theologie an der Universität Regensburg, hat Regina Radlbeck-Ossmann ein Buch geschrieben, einen Reiseführer für das Christentum. Es ist eine Einführung in das Christentum auf dem neusten Stand der Forschung, aber in einer Sprache, die auch für Nichtspezialisten verständlich ist. Für ihre erste Lesung im Magdeburger Roncalli-Haus wählte die Theologin das Kapitel über Wunder aus und zeigte eindrucksvoll, wie komplexe Sachverhalte verständlich vermittelt werden können.
"Auffahrunfälle" zur Veranschaulichung
So dienen Auffahrunfälle als Veranschaulichung, um zu demonstrieren, dass anhand einer literarischen Tradition noch lange keine Aussage über die historische Dimension eines Ereignisses getätigt werden kann. Bezogen auf die biblischen Wunderberichte bedeutet dies, dass diese keinesfalls nur komponierte symbolische Erzählungen sind. Vielmehr geht die moderne Geschichtswissenschaft davon aus, dass die Wunder einen historischen Kern besitzen. Denn: Erzählungen über Wunder sind zahlreich in der Bibel - bei Markus machen sie gar rund dreißig Prozent des gesamten Evangeliums aus -, sie erscheinen in vielfältigen Formen und Traditionen, werden auch in nichtchristlichen Quellen erwähnt und von keinem Kontrahenten Jesu angezweifelt.
Aus der theologischen Perspektive, sagt Regina Radlbeck-Ossmann, seien Wunder, verstanden als außerordentliches Eingreifen Gottes in der Welt, sogar nicht nur möglich, sondern auch nötig. "Christen können ohne diese Hoffnung auf die in der Schöpfung liegende Potentialität, die in unerwarteter Weise eine Wende zum Guten bringt, nicht leben." Das beste Beispiel dafür ist der Glaube an das Wunder, dass Gott die Erde aus dem Nichts geschaffen hat.
Radlbeck-Ossmann will alte Denkstrukturen durchbrechen. Die Vorstellung der Aufklärung, dass Wunder nur dann Wunder sind, wenn sie Naturgesetzen widersprechen, hat ausgedient. Augustinus’ Beobachtung, dass Wunder nicht eine Infragestellung der Natur, sondern eine Infragestellung dessen, was wir von der Natur wissen, seien, gewinnt neu an Bedeutung.
Wunder spielen wichtige Rolle im Evangelium
Dieses wiederentdeckte Verständnis von Wundern fügt die Hallenser Theologin in den Gesamtkontext des Heilverständnisses Christi ein. Denn dieses dürfe nicht in der spirituellen Komponente verharren. "Jesus hat nicht nur vom Heil gesprochen, sondern seine Botschaft durch Wundertaten bekräftigt." Die biblischen Wunder, die in den vergangenen Jahrzehnten ein theologisch stiefmütterliches Dasein fristeten, nehmen daher eine zentrale Stellung innerhalb der christlichen Botschaft ein.
Die Kapitel des christlichen Reiseführers sind nie länger als sieben Seiten. Dass die Autorin es versteht, die Essenz des christlichen Glaubens auf erfrischende Weise darzustellen und dabei mit alten Mythen aufzuräumen, zeigt bereits das Kapitel über die Wunder. Demjenigen, der nicht viel Zeit hat und trotzdem viel über den modernen christlichen Glauben erfahren möchte, sei dieses Buch empfohlen.
Michael Langer / Regina Radlbeck- Ossmann: Christentum. Ein Reiseführer; Pattloch-Verlag München 2010; ISBN 978-3- 629-02208-0; Preis: 19,95 Euro
Von Kilian Trotier