"Sparen ist das falsche Signal"
Die Caritas fordert, die Kürzungen im sozialen Bereich in Sachsen zurückzunehmen
Dresden (tdh). Die Kürzungen im sozialen Bereich in Sachsen werden sich auch auf die Suchtkrankenhilfe im Freistaat auswirken. Deutlich wurde dies zur Feier des 25-jährigen Bestehens der Suchtberatungs- und Behandlungsstelle der Dresdner Caritas am 25. Juni.
Berthold Student verstand die Welt nicht mehr. Erst hat er in der Tasche seiner Frau kleine Fläschchen gefunden - neckische Geburtstagsgeschenke für Freundinnen, dachte er. Dann veränderte sie sich, war tagsüber plötzlich betrunken, bekam ihr Leben nicht mehr in den Griff. "Vorübergehend", beruhigte sich Berthold Student. Es folgten peinliche Auftritte bei Partys mit Freunden oder Familienfeiern. Die Mutigsten haben ihn angesprochen: "Kann es sein, dass deine Frau ein Alkoholproblem hat?" Es habe sehr lange gedauert, bis er der Wahrheit ins Auge sehen konnte, erzählt Student.
"Wer heute spart, zahlt morgen drauf"
Er hat die Erlebnisse seiner Existenz als Co-Alkoholiker aufgeschrieben - daraus ist ein Buch geworden, aus dem er bei der 25-Jahr-Feier der Caritas-Suchtberatungs- und Behandlungsstelle in Dresden vorliest. Heute, so sagt er, sei seine Frau trocken. Aber die Krankheit sei nicht heilbar und Rückschläge könne es immer wieder geben. Berthold Student hat aber neuen Mut gefasst: Entzug, Paartherapie, Selbsthilfe. Das Ehepaar hat das ganze Programm gefahren, um seine Probleme in den Griff zu bekommen. Seit 1968 ist Alkoholismus von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt. Aber noch immer sei sie gesellschaftlich geächtet, so der Leiter der Suchtberatungs- und Behandlungsstelle der Caritas in Dresden, Peter Müller-Merkel. Die Erkrankung ziehe sich jedoch durch alle Teile und Schichten der Bevölkerung - Tendenz steigend.
"Die Kinder haben am meisten zu leiden"
Hinzu kämen Spielsüchte und seit neuestem besonders die Internetsucht bei Jugendlichen. Dass der Freistaat Sachsen ausgerechnet bei der Suchtkrankenhilfe sparen will, kann Peter Müller- Merkel deshalb nicht nachvollziehen. "Wer heute spart, zahlt morgen drauf", prophezeit der Sozialarbeiter und Suchttherapeut. Die Folgekosten würden in den nächsten Jahren um das Vierfache höher liegen als die Kosten für die Suchtbehandlung. "Wer hier den Rotstift ansetzt, handelt verantwortungslos", sagt Müller- Merkel.
Die Sächsische Landesstelle gegen Suchtgefahren (SLS) hat ausgerechnet, dass rund 3000 Betroffene in den nächsten zwei Jahren nicht mehr behandelt werden können, sollte die sächsische Landesregierung ihre Kürzungspläne wahr machen. "Dies wird verheerende Auswirkungen haben", sagt Andreas Schuppert, Pressesprecher des Caritasverbandes für das Bistum Dresden-Meißen.
"Es sind nicht nur Spielsüchtige oder Alkoholiker, die Hilfe brauchen, sondern auch die Familien. Die Kinder haben am meisten zu leiden." Von den Problemen eines Alkoholikers seien im Schnitt zwei bis drei Menschen mitbetroffen. Allein erziehende Partner mit Kindern, die es nicht mehr ausgehalten haben, geraten in die Armutsfalle.
"Eigentlich müssten wir über Investitionen reden"
Für Unterhaltsleistungen zum Beispiel müsse dann der Steuerzahler aufkommen, weil der Suchtkranke oft nicht mehr in der Lage sei, das Geld für den Unterhalt aufzubringen. "Nur ein Beispiel für die enormen Folgekosten, die auf uns zukommen, wenn der Suchtkranke nicht mehr die Hilfe bekommt, die er braucht, um aus dem Teufelskreis herauszukommen." Schuppert: "Die Suchthilfe ist aber nur eine Baustelle. Die Landesregierung unterschätzt einfach den enormen Bedarf im sozialen Bereich. Sparen ist hier das falsche Signal. Wir reden über Kürzungen, eigentlich müssten wir über Investitionen reden."
Berthold Student hat mit seiner Frau den Sprung geschafft. "Aber auch nur deshalb, weil wir viel Hilfe hatten, von Freunden, Sozialarbeitern, Ärzten und Menschen, die es gut mit uns gemeint haben", sagt er. Wenn Sachsen mit seinen Kürzungen im sozialen Bereich so weitermacht, hätten viele Menschen diese Chancen nicht mehr, befürchtet Andreas Schuppert.