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Der Weg ist Begegnung

Die ökumenischen Samstagspilger erkunden Jakobswege durch die Heimat

Reinsdorf/Reichenbach. Die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft organisiert Pilgerfahrten durch die Region Mitteldeutschland. Der Verein ruft mittelalterliche Pilgerwege ins Leben zurück und verbindet sächsische Provinzen mit Santiago de Compostela.

Unterwegs auf den Jakobswegen in der Region: Katholische und evangelische Christen sowie Konfessionslose beim ökumenischen Samstagspilgern.

Unter Glockengeläut zieht die kleine Gruppe Wanderer in die Jakobikirche zu Reinsdorf ein. Die Glocken läuten nicht zu Ehren der Reisenden, sondern zur vollen Stunde. Pünktlichkeit ist oberstes Gebot. Denn den versammelten 20 Männern und Frauen stehen noch 26 Kilometer Marsch bis ins vogtländische Reichenbach bevor. Vor dem Aufbruch ist jedoch Zeit, die Kirche und ihre Schätze kennenzulernen. Insbesondere jedoch ist Zeit sich in einem Moment der gemeinsamen Andacht der eigenen Schätze bewusst zu werden und sich auf den bevorstehenden Weg vorzubereiten. Denn diese Wanderer machen sich nicht auf, um in schöngeistiger Landschaftsliebe ein unbewegliches Ziel zu erreichen. Nein, sie sind Pilger und wollen auf ihrem Weg mehr hinter sich lassen als in Kilometern anzugeben ist.

Zweifel kommen. Und gehen.

Dagmar Schlegel, für die Jakobus- Gesellschaft von Anfang an dabei, organisiert die Pilgeretappen der Samstagspilger im Raum Sachsen. An acht bis zehn Samstagen im Jahr treffen sich die Pilger und legen Tagesetappen ihrer Jahresstrecke zurück. In diesem Jahr sollen die rund 160 Kilometer von Leipzig nach Schwarzenbach an der Saale bewältigt werden. Bei ihren Fahrten bemüht sich der Verein, den Pilgern das Stück Heimat auf ihrem Weg und seine kulturellen Besonderheiten nahezubringen.

"Man ist auch nach sechs Jahren noch ein Laie", berichtet Dagmar Schlegel von ihren Bemühungen die kulturellen und geschichtlichen Besonderheiten auf dem Weg den Pilgern zu erschließen. Dabei wird sie, die als Krankenschwester für Intensivmedizin arbeitet, stets von Einheimischen unterstützt. Dagmar Schlegel erinnert an den Gründer des ökumenischen Pilgerns in Mitteldeutschland, Christoph Kühn. 2003 begründete er den Verein und dessen Zielsetzung. Als Theologe und Kunsthistoriker hat er der inhaltlichen und geistigen Gestaltung des Samstagspilgern eine Richtung gegeben. Auch von Zweifeln auf den Wegen der Pilger berichtet Dagmar Schlegel. "Ich habe selbst eine Zeit lang gezweifelt, ob ich das Pilgern nicht gänzlich aufgebe."

Die "Ökumenischen Samstagspilger" sind eine Gruppe unter dem Dachverein der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft, der seit 2004 die Pilgerfahrten in Mitteldeutschland organisiert. Die Pilgergruppe nimmt sich über das Jahr hinweg eine festgelegte Strecke vor. In diesem Jahr widmet man sich besonders der Via imperii, einer der bedeutenden Fernhandelsstraßen des Mittelalters. Sie verband die wichtigen Marktstädte und war eine der Hauptreiserouten nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela. Entlang der Via imperii zogen die Pilger Richtung Gelobtes Land oder zum Grab Jakobus des Älteren. Das Wegenetz in der Region Mitteldeutschland wird heute von der St. Jakobus-Gesellschaft auf nachweisliche Pilgeraktivität im Mittelalter und Verbindung nach Santiago untersucht.

Durchschnittlich pilgern 40 bis 50 Pilger an den Samstagen gemeinsam durch Deutschland. Dabei sind unterschiedliche Gruppen an verschiedenen Orten in der Region unterwegs. "Die Gruppen sind über die Jahre hinweg konsequent gewachsen", erzählt Dagmar Schlegel. "Es kommen auch immer wieder Interessierte dazu. Familien, junge Leute, besonders Alleinstehende. Sie wollen selbst die Erfahrung des Pilgerns machen." Das in der Gruppe Katholiken, Protestanten und sogar Konfessionslose bunt gemischt sind, fällt im Gesamtbild nicht auf. Die Pilger leben eine Gemeinschaft, die sich auf den Weg macht, für jeden das zu finden, was er sucht. "Der Weg ist Begegnung." Heinrich Nossek, Slawist und Lehrer im Ruhestand, weiß den tieferen Sinn im Pilgern in Worte zu fassen. Von außen betrachtet ist der Unterschied zwischen einer Wandergruppe und einer Pilgerschar nicht zu erkennen. Ist man jedoch Teil dieser Gemeinschaft, so wird die Bedeutung dieser Worte klar. Auch wenn sie gemeinsam pilgern, läuft jeder für sich. "Man findet im Vorwärtskommen ein leichtere Form der Meditation. Es ist die Chance, alles, was das eigene Leben ausmacht und geprägt hat, zu verarbeiten und zu überdenken." Der Pilger begegnet seiner Gemeinschaft und diese gibt ihm den Rückhalt, sich selbst zu begegnen.

Allein seinen Weg gehen, ohne einsam zu sein

Um den Mittag herum, wenn Erschöpfung und Hitze am größten sind und in jedem Gesicht die Sehnsucht nach Ankommen geschrieben steht, beginnt jeder ganz für sich zu laufen. Gespräche verstummen und die Blicke richten sich gen Boden. Dann verliert Gemeinschaft an Bedeutung. Auch wenn die Erschöpfung überhand nimmt, gehen die Pilger weiter. Sie alle - manche haben das 70. Lebensjahr bereits hinter sich gelassen - wollen an die eigenen Grenzen kommen, wollen wissen, was dahinter liegt. Welche Emotionen, welche Erfahrungen entdeckt werden, wenn die eigene Grenze überschritten wird. Dabei ist man nie einsam. Heinrich Nossek nennt dies "Partner finden". Für jeden Pilger sieht dieser Partner anders aus, nimmt eine andere Persönlichkeit an. Viele Pilger richten ihre Alltagsplanung inzwischen nach der nächsten Etappe der Samstagspilger aus. Sie planen die Zeit fest ein, in der sie für andere nicht zu erreichen ist. Sie sind dann auf dem Weg - nur für sich.

Von Damian Peikert



Stichwort

Die Deutsche St. Jakobus- Gesellschaft widmet sich der Erforschung und Erschließung der Jakobuswege in Deutschland. Der Verein schließt umfangreiche Information und Beratung der Pilger, sowie eine intensive europäische Zusammenarbeit ein. Ziel ist ein gut strukturiertes Wegenetz von Pilgerwegen in Deutschland. Der Verein teilt seine Arbeit in die Regionen Nord-, Süd- und Mitteldeutschland auf. Mit Projekten und wissenschaftlicher Arbeit will er die Tradition der Pilger am Leben erhalten. Mehr Informationen im Internet: www.pilgern-in-mitteldeutschland.de und www.jakobus-gesellschaften.de (dp)

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