Die innere Quelle
Das Herz berühren lassen
Bei meinen zahlreichen Gesprächen mit Nichtchristen und Christen staune ich immer wieder, dass oft die Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung nicht zusammen stimmt: Da passiert es zum Beispiel, dass jemand, der vom Pfarrer als "guter Katholik" bezeichnet wird, sich selbst aber ganz zerknirscht als "Christ am Rande" wahrnimmt.
Umgekehrt erlebe ich bei manchen jungen Erwachsenen ein großes soziales Engagement, aber eine verbale Ablehnung des Glaubens.
Kürzlich staunte ich, als sich jemand nur deshalb auf der sicheren Seite wähnte, weil er jeden Freitag auf Fleisch verzichtet. Diese Person hat schon seit Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen, und mit dem persönlichen Gebet sieht es auch mager aus.
Während ich überlegte, woran man denn nun einen "richtigen" Christen erkenne, las ich ein Interview mit Frere Alois Löser, dem Chef der Communité von Taizé. Er leitet seit dem Tod von Frere Roger 2006 die Brüdergemeinschaft. Auf die Frage, wie er das mache, lacht er und sagt dann: "Das ist eine ständige Frage für mich. Das Wichtigste ist, immer auf die Quelle hinzuweisen, aus der wir leben - und die Christus selbst ist. Diese Zentrierung ist sehr wichtig, weil wir sehr viel Arbeit um die Ohren haben und weil die Gefahr immer besteht - auch wenn wir dreimal am Tag gemeinsam beten - dass diese Quelle in den Hintergrund gerät."
Die Ehrlichkeit von Frere Alois beeindruckte mich: Es gibt keine Garantie dafür, aus der inneren Quelle zu leben. Weder das Gebet noch gute Werke noch fromme Übungen noch sonst irgendetwas garantiert mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Vielleicht merkt man es am Anfang gar nicht, dass sich in gute und lautere Absichten andere Ziele mischen und diese Ziele dann im Laufe der Zeit die Oberhand gewinnen.
Es ist ja leider tatsächlich so, dass manche Pfarrer oder in der Pfarrei tätige Christen Christus aus den Augen verloren haben und ihre Christlichkeit wie ein Etikett vor sich hertragen. Diese Leute machen vielleicht ihren Job nicht schlecht, doch auf Dauer sind sie unfruchtbar und es fehlt das Wesentliche. Da ist es gut, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass Christentum darin besteht, die Beziehung zu Christus lebendig zu halten und aus dieser inneren Quelle zu trinken.
Schwester Susanne Schneider,
Missionarinnen Christi, Kontaktstelle Orientierung in Leipzig