"Gott verleiht Kreativität"
Für den Jesuiten Kummer schließen Naturwissenschaft und Theologie einander nicht aus
Dresden. Zu einer vierteiligen Vortragsreihe anlässlich des 200. Geburtstages von Charles Darwin am 12. Februar lädt derzeit das Dresdner Kathedralforum ein. Im November 1859, vor 150 Jahren, erschien sein Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten", das die Evolutionsbiologie begründete.
Naturwissenschaft oder Theologie? Christian Kummer meint: Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil. Der Jesuit, der selbst neben Theologie auch Philosophie und Biologie studiert hat und Professor für Naturphilosophie in München ist, vertritt die Ansicht, man könne die beiden unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Welt sehr gut zusammendenken. Deswegen gehört für ihn die Evolutionslehre auch unbedingt in den Religionsunterricht mit hinein, wie er jetzt in einem Vortrag im Dresdner Kathedralforum darlegte. "Denn dies ist ja das Weltbild, in das hinein der Glaube vermittelt wird", sagte er. Umgekehrt jedoch habe die Schöpfungslehre im Biologieunterricht nichts zu suchen.Grabenkampf an falschen Fronten
Denn die biblischen Schöpfungserzählungen mit wissenschaftlichen Mitteln legitimieren zu wollen, wie es die "bibeltreuen" Kreationisten versuchen, hält er für einen verkehrten Ansatz. Ebenso die scheinbar religionsneutrale These vom "Intelligent Design", die aus der Komplexität der Natur den Schluss zieht, es müsse ein intelligenter Planer und Schöpfer existieren. Ebenso wenig zustimmen kann er andererseits dem Naturalismus, dessen Vertreter erklären, Schöpfungsglaube sei eine irrationale Privatangelegenheit, denn alles in der Welt gehe mit natürlichen Dingen zu. Manche, wie Richard Dawkins ("Der Gotteswahn") etwa, entwickeln daraus einen kämpferischen Atheismus.
Doch im öffentlichen Meinungsstreit Darwin gegen Gott in Stellung zu bringen, ist für Christian Kummer ein "Grabenkampf an falschen Fronten". Denn beide Seiten lassen sich sehr wohl versöhnen. Man müsse nur Darwin etwas gründlicher als bisher lesen und brauche vor allem eine Vorstellung von Evolution, die weiter ist als die derzeit herrschende. Ausführlich legt Christian Kummer diesen Vermittlungsversuch auch in seinem gerade erschienenen Buch "Der Fall Darwin" dar.
Evolution ist Selbsttranszendenz
Evolution, so erklärte er in seinem Vortrag, sei - in einem weiteren Sinne verstanden - Selbsttranszendenz. Das heißt: Natürliche Wesen überschreiten ihre Grenzen in Richtung einer neuen, noch komplexeren Einheit. Und diese Auffassung nun sei sehr wohl offen für eine Vorstellung von Schöpfung. Eine Schöpfung freilich, die wegkommt von der Ansicht, mit Gott sei eine Art Handwerker zu Gange, der alles in der Welt formt. "Ein Gott, der Selbsttranszendenz ermöglicht, ist kein Handwerker", erklärte er. "Vielmehr macht Gott, dass die Dinge sich selbst machen." Göttliches Schaffen sei ein gänzlich anderes Schaffen als das des Menschen. Worauf schon das im biblischen Schöpfungsbericht verwendete hebräische Wort für Schaffen hinweise. Das werde dort nur im Zusammenhang mit Gott gebraucht.
So lautet sein Fazit: "Gott verleiht Kreativität statt Kreaturen zu schaffen."
Von Tomas Gärtner