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Lebenshelfer und Hoffnungsspender

Die Winterakademie im Bischof-Benno-Haus in Schmochtitz widmete sich 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution der DDR-Literatur

Schmochtitz. "Brief mit blauem Siegel" hieß ein 1973 in Leipzig erschienener Gedichtband von Reiner Kunze. Diesen Titel griff die diesjährige Winterakademie im Bischof- Benno-Haus in Schmochtitz auf, bei der es um die DDRLiteratur ging.
Wahrscheinlich haben viele Teilnehmer der Winterakademie in Schmochtitz das erlebt, woran der Direktor des Bischof-Benno- Hauses Dr. Peter-Paul Straube zur Begrüßung erinnerte: an die Vorfreunde, wenn man zu DDRZeiten hörte, dass ein bestimmtes Buch erschienen sei. "Wir sind losgezogen, ein Exemplar zu erstehen. Mitunter musste sich der Buchhändler bücken unter den Ladentisch, um einen Band des begehrten Titels hervorzuholen, der nicht im Schaufenster ausgelegt war, für den auch nicht geworben werden brauchte. Diese Bücher wurden schnell ausgelesen, um sie weiterzugeben an andere, um dann gemeinsam darüber zu sprechen."


Bücher, die unter die Haut gingen

Neben vielen unnützen Büchern, deren Inhalt vor allem an der SEDPropaganda orientiert war, erschienen immer wieder Bücher, "die unter die Haut gingen", sagt Straube. "So entstanden Leseräume, die zu (Über-)Lebensräumen und -träumen wurden." Daran zu erinnern und auch zu fragen, ob und welche Bedeutung diese Literatur heute noch haben kann, war Anliegen der Veranstaltung.

Einer, der sich mit DDR-Literatur bestens auskennt, ist Prof. Dr. Klaus Stiebert aus Dresden, der viele Jahre Literaturbeauftragter der evangelischen Landeskirche Sachsen war. Auch er hatte sich in den letzten 20 Jahren kaum mit diesen Büchern beschäftigt. Jetzt, in Vorbereitung auf die Winterakademie hat er sie wieder zur Hand genommen und sein Urteil steht fest: Es sei zu DDR-Zeiten viel "blödes Zeug" geschrieben worden, aber "die besten Werke bleiben bestehen und sind nicht mit der DDR untergegangen".

Dabei wurden allerdings die ersten 20 Jahre DDR-Literatur vom Leser nicht anerkannt, sagt Stiebert. Sie wurde geschrieben von einer Generation von Schriftstellern, die sich nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges bewusst in den Dienst der sozialistischen Gesellschaft gestellt hat. Nach den mit dieser neuen Gesellschaft verbundenen außerordentlichen Hoffnungen traten aber Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre die außerordentlichen Verzagtheiten ein, die sich auch in der DDR-Literatur widerspiegelten. Ein Roman aus dieser Zeit ist Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T." von 1968.

In dieser Zeit wurden Bücher zu Lebenshilfen. Stiebert: "Darf das Aufgabe von Literatur sein? Sie war es in der DDR." Krankheit und Tod, Krieg und Frieden oder die Ökologie wurden zu Themen von Romanen, Erzählungen und Gedichten. "Der Marxismus hat sich mit den großen gesellschaftlichen Fragen beschäftigt. Die Fragen des Einzelnen nach Leid, Sterben, Liebe oder Einsamkeit spielten keine Rolle", erklärt Stiebert.

Welchen Ärger ein Schriftsteller durch die Beschäftigung mit diesen Fragen haben konnte, dafür ist Reiner Kunze ein Beispiel: In einem seiner Liebesgedichte heißt es "Manchmal lese ich von vorn die Häuserzeile und suche dich: das blaue Komma." Von den DDR-Literaturfunktionären bekam er daraufhin zu hören: Wenn das Literatur sei, dann könne man gerne 40 Jahre ohne Literatur leben. "Wenn ein einzelner Mensch ihrem Leben einen Sinn gibt, dann ist das kleinbürgerlich."

Auch im Werk von Christa Wolf steht die Auseinandersetzung mit diesen Themen im Mitelpunkt. Dass das von den Lesern so begierig aufgegriffen wurde, veranlasste die Schriftstellerin seinerzeit zu der Frage: "Zeigt das nicht, dass die Institutionen, die für Lebenshilfe zuständig sind, bei uns (in der DDR) zu schwach entwickelte sind? Ein Schriftsteller ist weder Pfarrer noch Psychologe."

Im Westen wurde die Themenwahl von DDR-Autoren nicht verstanden. Stiebert nennt als Beispiel Hanns Cibulkas Erzählung "Swantow", in der es um die Gefahren der Atomkraft geht. Eine West-Reaktion darauf war: "So etwas steht bei uns im Spiegel." Hier ist ein Grund zu suchen, warum die DDR-Literatur im Osten ein "Lebensmittelpunkt" war, im Westen aber nicht wahrgenommen wurde, obwohl alle wichtigen Werke dort erschienen sind.


Gegenwartsfragen in historischen Stoffen

Um sich bestimmten Themen überhaupt widmen zu können, griffen DDR-Autoren gelegentlich darauf zurück, aktuelle Fragen in Form von historischen oder biblischen Geschichten aufzugreifen. Der geübte DDR-Leser erkannte darin aber den Gegenwartsstoff, erinnert Stiebert. "Bei der Behandlung von Gegenwartsstoffen hatten viele Autoren immer wieder Ärger mit der Zensur. Mit historischen oder mythologischen Stoffen gingen sie dem aus dem Weg, weil die Verantwortlichen oft so dumm waren, dass sie die Sprengkraft nicht erkannt haben."

In den 1980er Jahren war die Situation in der DDR von Hoffnungslosigkeit geprägt. Stiebert: "Es war ein gebremstes Leben." Was zur Folge hatte, dass das Thema Hoffnung in der DDR-Literatur in den Vordergrund trat. Christa Wolf sagte damals, "auf die Zähigkeit der Hoffnung hin schreibe ich". Ähnlich ihr Kollege Christoph Hein: "Ohne Hoffnung können wir nicht leben und nicht arbeiten. Ich würde wie Luther um jeden Preis ein Apfelbäumchen pflanzen."

Letztlich hat dann die DDRLiteratur auch Anteil an ihrem eigenen Ende, weil sie das Ende der DDR mit heraufgeführt hat. Stiebert: "Neben den Kirchen haben auch die Worte der Schriftsteller zu den Veränderungen von 1989 beigetragen."

Die Winterakademie fand in Zusammenarbeit mit der Katholische Akademie des Bistums Dresden- Meißen, der Defa-Stiftung und dem Hoyerswerdaer Kunstverein statt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema geschah in Lesungen und Gesprächen mit Autoren (Reiner Kunze und Erich Loest), bei einem Besuch in Hoyerswerda auf den Spuren der Schriftstellerin Brigitte Reimann und bei Vorträgen und Diskussionen.

Von Matthias Holluba