Glauben gemeinsam ergründen
Die Erfurter Professorin Myriam Wijlens vertritt die katholische Kirche im Weltkirchenrat
Erfurt/Jerewan. "Man lernt die anderen Kirchen, aber auch die eigene immer tiefer kennen", sagt die Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens über ihre Erfahrung im Weltkirchenrat. Seit 2008 vertritt sie dort in der Kommission Glaube und Kirchenverfassung die katholische Kirche.
Während früher vor allem Glaubensfragen Anlass zu Kirchenspaltungen boten, sind es in jüngerer Zeit zunehmend ethische Themen wie Stammzellenforschung oder Aids-Prävention, die Spaltungen zwischen und innerhalb der Kirchen auszulösen drohen. Grund genug, ihnen in der Ökumene verstärkt Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wie kommen Kirchen überhaupt zu ihren ethischen Positionen, war eine der Fragen, denen der Ständige Rat der Kommission Glaube und Kirchenverfassung im Juli bei seiner jüngsten Zusammenkunft im armenischen Jerewan nachging.
"Häufig schaut man nur auf die Differenzen in ethischen Fragen. Wir haben uns stattdessen gefragt: Welche Rolle spielen in der jeweiligen Kirche die Bibel, die Kirchenväter das Gewissen, die Kultur ... und in welchem Zusammenhang steht all dies zu den ethischen Positionen, die Christen dieser Kirche in bestimmten Fragen einnehmen?", erzählt Myriam Wijlens aus der Arbeitsgruppe, in der sie selbst mitwirkte.
Das tiefere Eindringen in die Entstehungsgeschichte eigener und fremder ethischer Entscheidungen haben die Teilnehmer anhand von Beispielen geübt, die sie selbst als Zündstoff erleben, die Bewertung von Homosexualität etwa, an der sich in der anglikanischen Kirche Streit entzündet hat, das gezielte Abwerben Gläubiger anderer Konfessionen (Proselytismus) in Russland und Südamerika, die Globalisierung oder die Stammzellenforschung in Deutschland.
Mit dem Rassismus der niederländisch- reformierten Kirche in Südafrika wurde auch ein mittlerweile überwundenes Problem in den Blick genommen. Die Kirche, die wegen ihrer rassistischen Einstellung in den 60er Jahren aus dem Weltkirchenrat austrat und aus dem Reformierten Weltbund ausgeschlossen wurde, hatte ihr Eintreten für Rassismus und Apartheid biblisch begründet. 1990 entschuldigte sich die niederländisch- reformierte Kirche dann aber öffentlich für ihr früheres Verhalten und wirkt mittlerweile wieder in verschiedenen ökumenischen Gremien mit.
Die Unterschiedlichkeit der Kirchen wirft bei den Begegnungen im Ständigen Rat immer wieder spannende Fragen auf. "Wie würden wir heute mit einer Gruppierung innerhalb unserer Kirche umgehen, die rassistische Positionen vertritt?", lautete eine dieser Fragen, der sich die Delegierten stellten. "Die katholische Kirche vertritt Lehren, die ihre Gläubigen nicht mehr umsetzen. Wie lebt die Kirche mit dieser Spannung?" - eine Frage, mit der Myriam Wijlens konfrontiert wurde. Ihr Verweis auf die Bedeutung des Gewissens, das natürlich gebildet werden muss, das aber nach dem Verständnis der katholischen Kirche eine hohe Instanz ist, blieb für manch anderen unverständlich oder wurde als inkonsequent erachtet, erzählt die Kirchenrechtlerin.
Auch die Unterschiedlichkeit kirchlicher Strukturen führt das Gremium immer wieder an Grenzen. Während Katholiken etwa sagen "Meine Kirche lehrt Folgendes …" können freikirchliche Vertreter immer nur für sich allein sprechen.
Zurück zu den Wurzeln: Bibel lesen mit den Kirchenvätern
Das Bewusstsein gemeinsamer Tradition zu stärken war das Anliegen einer eigenen Arbeitsgruppe der Kommission, die den Blick auf die ersten Jahrhunderte vor den Kirchenspaltungen warf: Mit welchen Methoden haben die Kirchenväter die Bibel gelesen?, war die entscheidende Frage, der sie nachgingen.
Besonders großes Interesse an dieser Arbeitsgruppe haben nach Einschätzung von Myriam Wijlens die orthodoxen Delegierten. In der Orthodoxie berufe man sich auch bei ethischen Entscheidungen immer wieder auf die Kirchenväter, die in etlichen jüngeren Kirchen kaum noch eine Rolle spielen. In der Handreichung, die diese Arbeitsgruppe erarbeitet, sollen insbesondere ökumenische Gruppen und Institutionen an den Umgang mit Texten der Kirchenväter herangeführt werden und die Bibel durch die Brille der Kirchenväter lesen.
Dabei werden Texte übersetzt und mit wissenschaftlichen Kommentaren versehen. Unter anderem soll auch geklärt werden, ob unter allen Einigkeit darüber besteht, wer nach welchen Kriterien zum Kanon der Kirchenväter gehört.
Westliche Delegierte sind zu dominant
Keine fertigen Antworten zu liefern, sondern Gespräch und vertiefendes Nachdenken in den Kirchen anzuregen ist auch das Anliegen einer Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Taufe beschäftigt. "Wie groß die Vielfalt des Umgangs mit Taufe ist, war uns allen so nicht bewusst", sagt die Erfurter Professorin. Klärungsbedarf gebe es insbesondere, wenn Gläubige konvertieren. Selbst in Deutschland, wo elf Kirchen 2007 feierlich die wechselseitige Anerkennung ihrer Taufe erklärt haben, seien längst nicht alle Fragen geklärt. Noch zu wenig diskutiert worden sei beispielsweise, was es bedeutet, die Taufe einer Kirche anzuerkennen, die Kirche selbst aber nicht.
Die Arbeitsgruppe Taufe verständigt sich zum einen über Begriffe, die mit dem Sakrament in Zusammenhang stehen. "Es erleichtert den Dialog, wenn Gemeinsames auch mit gemeinsamen Begriffen benannt wird", erläutert Myriam Wijlens. Zum anderen wird ein Fragenkatalog erarbeitet, der Christen aller Kirchen anregen soll, sich über eigene Positionen klarer zu werden. Mögliche Fragen, die dabei zur Sprache kommen, könnten unter anderem sein: Unter welchen Bedingungen erkennen Sie die Taufe einer anderen christlichen Gemeinschaft an? Welche Rechte haben Katechumenen? Wie wird bei Ihnen deutlich gemacht, dass man mit der Taufe Eingang findet in den großen Leib Christi? Wie bringt Ihre Gemeinschaft zum Ausdruck, dass sie die Taufe einer anderen Kirche anerkennt? Wäre eine gemeinsame Taufvorbereitung mit anderen Kirchen für Sie denkbar? Halten Sie ein gemeinsames Taufzertifikat für möglich und sinnvoll?...
Die Arbeit an Handreichungen und Beschlussvorlagen ist nicht abgeschlossen. Die Arbeitsgruppe, die sich mit ethischen Fragen beschäftigt, wird sich im kommenden Jahr wieder treffen. Professor Wijlens hat die aus zwölf Mitgliedern bestehende Gruppe nach Erfurt eingeladen. Noch ist der Tagungsort allerdings nicht bestätigt. Das Kennenlernen der Kirchen vor Ort sieht die katholische Delegierte für die Kommission des Weltkirchenrats keinesfalls nur als touristisches Beiwerk. Glaube und Kirchenzugehörigkeit und damit auch der ökumenische Dialog werde nicht zuletzt von kulturellen Gegebenheiten mitgeprägt.
Deutlich werde ihr das besonders, wenn bei den Versammlungen westliche Delegierte auf Vertreter aus asiatischen Ländern treffen. "Ein Inder würde nie zu einer Beschlussvorlage sagen: Wir sind dagegen!", ist Myriam Wijlens aufgefallen. "Wir Europäer müssen aufpassen, dass wir den ökumenischen Dialog nicht zu stark dominieren. Wir sollten aufmerksamer für die Konsequenzen sein, die unsere Entscheidungen beispielsweise für einen Pazifikbewohner haben."
Von Dorothee Wanzek
Hintergrund
Glaube und Kirchenverfassung
Die Kommission für Glaube und Kirchenverfassung im Ökumenischen Rat der Kirchen zählt 120 Mitglieder - Geistliche, Laien, Gelehrte und kirchlich Verantwortliche, die von ihren Kirchen ernannt werden. Mehrere Kirchen, die nicht Mitglieder im Ökumenischen Rat der Kirchen sind, darunter die römischkatholische Kirche, arbeiten dennoch als Vollmitglieder in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung mit. Die katholische Kirche hat dort zwölf Delegierte. 30 Mitglieder gehören dem Ständigen Rat an, der mindestens alle 18 Monate zusammentritt und an den Dokumenten arbeitet, die die Kommission in die Vollversammlung des Weltkirchenrates einbringt. Die nächste Vollversammlung wird 2013 in Korea stattfinden. (tdh)