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Nicht aufhören zu rufen …

Bruno Heller, Caritasdirektor des Bistums Erfurt, befürchtet durch Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand eine Verschärfung der sozialen Probleme und gesellschaftliche Verwerfungen

Bund, Länder und Kommunen müssen sparen. Viele Sparmaßnahmen gehen zu Lasten der ohnehin schon sozial Schwächsten in der Gesellschaft. Ein Gespräch darüber mit dem Caritasdirektor des Bistums Erfurt, Bruno Heller.

Caritasdirektor Heller: Bestimmte Sparmaßnahmen wirken sich bei den sozial schwachen Menschen härter aus als bei anderen Teilen der Bevölkerung.

Herr Caritasdirektor, seit Jahren gehören Sie zu denen, die davor warnen, weiter im sozialen Bereich zu sparen. Doch die Situation hat sich nicht verbessert, im Gegenteil. Wie ist die Lage heute?

Meine Hoffnungen, dass sich die Situation verbessern könnte, haben sich nicht erfüllt. Stattdessen wurde deutlich, die Not und die Schwierigkeiten im sozialen Bereich nehmen massiv zu. Das bestätigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beratungsdiensten der Caritas, aber auch die der anderen Wohlfahrtsverbände. Sie haben mehr Nachfragen und die Problemlagen werden immer komplizierter. Von daher muss ich ein negatives Resümee ziehen. Aber man darf nicht resignieren.

Worin liegen die Gründe für die dauerhaftenen sozialen Probleme?

Der Osten Deutschlands wurde nach der Wende durch das Wegbrechen ganzer Industriezweige in besondere Mitleidenschaft gezogen. So stieg die Arbeitslosigkeit sprunghaft auf ein hohes Niveau, das sich bis heute kaum geändert hat. Zu viele Menschen sind nicht in ein neues Beschäftigungsverhältnis gekommen.

Welche Einsparungen vonseiten des Landes und der Kommunen sind konkret geplant? Und was ist dann für die Caritas nicht mehr möglich?

Wir sind als Wohlfahrtsverband Partner des Sozialstaates und in unseren Diensten übernehmen wir Pflichtaufgaben von Land und Kommune, so beispielsweise im Beratungsbereich. Was die Finanzierung betrifft, mussten wir bereits über Jahre hinweg Kürzungen hinnehmen. Nun ist die Situation so, dass wir nach der Finanz- und Wirtschaftkrise weitere massive Einbrüche erwarten. Das Land wird in diesem Jahr den Haushalt sicher nochmal so durchziehen, wie er verabschiedet wurde, kündigt uns aber bereits für das nächste und übernächste Jahr enorme Einsparungen an, nach dem Motto "Alles auf den Prüfstand". Von daher haben wir als Caritas die Sorge, dass die Mittel des Landes reduziert werden und vieles nicht mehr möglich ist. Eine weitere Sorge ist die, dass sich das Land aus der Verantwortung zieht und sagt, das sind kommunale Aufgaben. Holt euch das Geld bei den Kommunen. Aber die sind ja in einer noch misslicheren Lage und kürzen ihrerseits die Mittel. Absprachen und Leistungsvereinbarungen werden gekündigt, um neue abzuschließen, natürlich mit für uns schlechteren Konditonen.

Konnten Sie bisher gegensteuern?

Wir haben lange versucht, durch Erhöhung von Eigenmitteln wegbrechende öffentliche Mittel zu subventionieren, aber wir kommen auch an unsere Grenzen, da ja auch die Kirche Finanzprobleme hat. Von daher werden die drohenden Sparmaßnahmen zu einer Reduzierung von Angeboten führen. Die Leidtragenden sind die Klienten, denen geholfen werden müsste, ihr Leben zu gestalten. Es geht nicht um uns als Institution. Wir haben vielmehr die Verantwortung für die Hilfesuchenden und müssen uns die Frage stellen, wie ihnen weitergeholfen wird. Ich kann zwar Geld sparen, aber damit werden sich nicht gleichzeitig die Nöte reduzieren, ja sie vermehren sich eigentlich.

Welche alternativen Sparvorschläge hätten Sie für die Verantwortungsträger in Kommunen, Land und Bund?

Einerseits ist Sparen eine Notwendigkeit, nur die Methode, vieles über einen Kamm zu scheren, ist für uns nicht akzeptabel. Bestimmte Sparmaßnahmen wirken sich bei den sozial schwachen Menschen härter aus als bei anderen Teilen der Bevölkerung. Hier nach Alternativen zu schauen, wie kann das weniger werdende Geld vielleicht auch so ausgeben werden, dass es Wirkungen zeigt, ist sicher ein Weg. Andererseits muss der Staat überlegen, wie er seine eigene Einnahmesituation verbessern kann, dass die Leistungsstarken in der Gesellschaft auch finanziell stärker belastet werden und nicht wieder bei den Schwachen angesetzt wird, was sie noch schwächer macht. Wir als freier Träger können zudem schauen, wo es Alternativen für uns gibt, wo sich manches anders strukturieren lässt. Aber da sind die Spielräume inzwischen sehr eng. Von daher müssen wir den Finger erheben und sagen, diese Sparmaßnahmen, so wie sie jetzt angedacht sind, werden die sozialen Probleme verschärfen. Das muss die Gesellschaft einfach im Blick haben.

Gibt es Alternativen, die Arbeit der Caritas zu finanzieren?

Wir überlegen natürlich, wie wir unsere Einnahmen verbessern können. Wie gelingt es, an Spenden zu kommen? Oder wie finden wir Leute, die etwas mitfinanzieren? Allerdings haben wir in den östlichen Diözesen das Problem, dass unsere Gemeinden relativ klein sind und dass es in unserem Land keine große wohlhabende Schicht gibt, die etwas geben könnte. Bei allem guten Willen gilt auch für die Verbesserung unserer Einnahmen: Wir kommen sehr schnell an die Grenzen.

Die Arbeit der Caritas wird zu sechs Prozent aus kirchlichen Mitteln finanziert. Viele fragen sich, wieso der Staat und die Kommunen die Aufgaben der Caritas finanzieren? Was antworten Sie?


Der Staat hat viele seiner Aufgaben an die freien Träger übertragen und wir leisten eine gesellschaftliche relevante Sozialarbeit. Der Bürger eines Landes und einer Kommune zahlt Steuern und aus diesen Steuern muss auch die Sozialarbeit mit finanziert werden. Die freien Wohlfahrtsverbände - die Caritas gehört dazu - tun dies in einem beachtlichen Umfang. Zudem leisten wir unsere Sozialarbeit nicht nach Religion oder Konfession, sondern unsere Angebote richten sich an alle Bedürftigen. Von daher übernehmen wir Tag für Tag eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die auch von der Gesellschaft mitgetragen werden muss. Mit Blick auf die Kirche wünsche ich mir schon, dass vielleicht ein höherer Prozentsatz von kirchlichen Mittel für unsere Aufgaben bereitgestellt werden kann. Aber ich weiß um die klammen Kassen.

Caritas war ursprünglich auf die Sorge um die Armen in der Gemeinde beschränkt. Mit der verbandlichen Caritas ging dieser Aspekt etwas unter. Welche Zukunft sehen Sie für die Caritas?

Der erste Caritäter ist immer der einzelne Gläubige. Jeder hat vom Evangelium her die Aufgabe, sich um den Nächsten zu sorgen. Von daher gehört Caritas zum Christsein wie zur Gemeinde einfach dazu: Sie ist ein Grundvollzug des Glaubens. Sie ist ein Grundvollzug der Gemeinde. Da diese jedoch nie für sich allein steht, kommt es darauf an, Nöte über ihre Grenzen hinaus wahrzunehmen. Ich weiß auch darum, dass viele Gemeinden damit überfordert sind, in bestimmten Bereichen konkrete Hilfe zu leisten. Das war übrigens der Grund dafür, dass im 19. Jahrhundert die Diözesancaritasverbände und Caritasvereine entstanden, um den Gemeinden professionell beizustehen.

Mit Blick auf das Elisabeth-Jahr 2007 kann ich sagen, dass in unserem Bistum vieles neu in Gang gekommen ist. Darüber kann man sich freuen. Aber die hauptamtliche Caritas muss weiter die Gemeinden unterstützen und die Ehrenamtlichen motivieren. Von daher hat Caritas nicht nur nach innen eine Aufgabe in der Kirche, sondern sie ist der Wohlfahrtsverband der Kirche und bietet seine Kraft der Gesamtgesellschaft an. So wird Kirche in der Welt und für die Welt erfahrbar und ein Stück weit das Evangelium mitverkündet.

Wie gehen Sie persönlich mit der Erfahrung um, ein Rufer in der Wüste zu sein?

Sicher fühle ich mich manchmal wie der einsame Prophet in der Wüste. Aber ein Prophet darf nicht aufhören zu rufen, wenn Erfolge ausbleiben. Die Hoffnung ist immer stärker. Und ich bin nicht allein, da sind die gut motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vielen Ehrenamtlichen vor Ort, dafür bin ich sehr dankbar. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Sozialarbeit immer auch Arbeit im politischen Sinne ist. Das heißt, wir müssen als Caritas, als Kirche, mit den anderen Wohlfahrtsverbänden gemeinsam auftreten, damit sich etwas verändern kann. Deshalb resigniere ich nicht, ganz im Gegenteil, ich bleibe Optimist, dass wir Gehör finden werden, wenn die Verantwortlichen spüren, dass die Sparmaßnahmen die Gefahr gesellschaftlicher Verwerfungen in sich tragen. Sozialarbeit ist ein Friedensdienst. Es geht um den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft, der ja auch ein wesentlicher Standortvorteil für unser Land ist.

Interview: Holger Jakobi

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