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Gesunder Narzissmus und demütige Großmut

Hallenser Gespräch über Stolz und Scham aus fünf Blickwinkeln der Wissenschaft

Halle. "Der Stolz und die Scham" war das Thema des siebenten Hallenser Gesprächs zu Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaft.

Ohne Demut weder Stolz noch Scham, sagt der Erfurter Fundamentaltheologe Prof. Michael Gabel (Mitte, mit dem Pädagogen Volker Ladenthin und der Religionswissenschaftlerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz).

Auf den ersten Blick scheinen sie sich gegenüberzustehen: Stolz und Scham - jeder kennt, meidet oder sucht sie, und in verschiedenen Zusammenhängen sind sie mit unterschiedlichen Vorbehalten besetzt. Dass weder zu viel noch zu wenig von beidem gesund sein kann, haben die Experten beim diesjährigen Hallenser Gespräch zu Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaften eindrücklich gezeigt. Die Katholische Akademie Magdeburg sowie das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle als Gastgeber holten fünf Wissenschaftler und Praktiker aus Religionswissenschaft und Theologie, Pädagogik, Recht und Psychoanalyse ans Rednerpult.


Stolz und Scham eines Staatsanwaltes

Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger etwa erlebte bei sich selbst sowohl Stolz- als auch Schamgefühle als Ankläger der RAF-Terroristen in den 1970er Jahren. Juristen gehen der Frage nach, ob eine gezeigte Scham oder ein Geständnis auch echt sind, so Pflieger, und wie viel Schuld tatsächlich bei den Angeklagten liegt. "Durch die Entwicklungen ihres Lebens sind sie schamlos geworden, und wir Anwälte wollen herausfinden, wer schuldig geworden ist, dass er sich schämen muss."

In den Therapiegesprächen mit seinen Patienten hat der Psychoanalytiker Karsten Münch häufiger mit der Scham als mit dem Stolz zu tun. Jedoch ließen sich aus der Instanzentheorie von Siegmund Freud beide Gefühlsregungen ableiten. In der Beziehung zwischen dem Ich und dem gewünschten Ich-Ideal treten Stolz und Scham als unterschiedlich große Widersprüche zwischen den Instanzen auf. Besteht ein großes Missverhältnis zwischen Ich und Ich-Ideal, entstehen Scham und das Gefühl "Ich kann nichts". Ist diese Diskrepanz jedoch eher klein, kommt es zu dem Hochgefühl des Stolzes oder Narzissmus.

Ein gesunder Narzissmus entwickelt sich, so Münch, bereits in der frühen Beziehung zwischen Mutter und Kind. "Zeigt die Mutter eine positive Grundeinstellung gegenüber ihrem Kind, erlebt es ebenfalls ein positives Selbstgefühl und entwickelt Urvertrauen", sagt der Psychotherapeut. "Solch eine Anerkennung ist fast genauso wichtig wie Nahrung und Wärme." Im Laufe des Lebens sei es zwar unvermeidbar, dass einem Menschen Anerkennung verweigert werde. "Aber nur, wenn es zu viel wird, kann deshalb das Selbstvertrauen Schaden nehmen, und eine elementare Scham entsteht."

Schamgefühl ist im Gegensatz zu Freude, Wut und Angst nicht angeboren, sagt Karsten Münch. "Dafür braucht ein Kind einen bestimmten Entwicklungsstand." Denn Scham sei zum einen reflexiv: "Ich schäme mich über mich selbst." Zum anderen brauche es aber auch die Gegenwart der Mitmenschen, vor denen jemand sich schämen könne. "Scham ist die Wächterin der Intimsphäre und eine unumgängliche Begleiterin in unserem Leben", sagt Münch. Doch versuche der Mensch, ihr durch innere oder äußere Abwehrmanöver Herr zu werden. "Auf der einen Seite kann man die Scham erzeugende Situation einfach vermeiden, aber auch das negative Gefühl verdrängen und sein emotionales Leben einfrieren oder dem Gefühl der Scham durch Perfektionismus vorbeugen." Äußerlich versuchen manche auch, die eigene Scham zu mindern und auch ein dem Stolz ähnliches Hochgefühl zu erleben, indem sie andere herabsetzen und beschämen oder sie gar tätlich angreifen.


Der Zusammenhang von Stolz, Scham und Demut

Einen neuen Begriff in die auf der Tagung diskutierte Zweierbeziehung von Stolz und Scham brachte der Erfurter Fundamentaltheologe und katholische Priester Michael Gabel ins Gespräch. Die Demut ist für Gabel sowohl das Gegenteil als auch eine andere Form des Stolzes. "Falscher Stolz heißt Hochmut, richtiger Stolz dagegen ist die demütige Großmut." Mit Blick auf die Haltung, welche die Menschen ihrem Leben gegenüber einnehmen, macht die Demut eine positive Scham erst möglich: "Dadurch merken wir, dass eine Einstellung nicht so selbstverständlich ist wie sie scheint, und wir können sie korrigieren", sagt der Professor an der Erfurter Universität.

Eine demütige Haltung gegenüber dem Leben hat für Michael Gabel auch etwas mit Verwunderung oder Staunen zu tun. "Ich trete ein Stück zurück und sehe die Dinge in einem anderen Licht, mache sie mir fremd", erklärt Gabel. Zwei Momente träfen dabei aufeinander: Die Zerstörung der vertrauten Welt und gleichzeitig die Feststellung: Da ist ja doch etwas. "Hier können wir dem Geheimnis der Wirklichkeit und dem Geheimnis Gottes begegnen."

Von Katharina Handy

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