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Anstoß

Sebastian und die Schöpfung in sieben Tagen

Pater Bernhard Kohl

In einer Schulklasse behandeln wir im Religionsunterricht momentan das Thema Schöpfung. Es geht dabei unter anderem um die bekannte Frage, wie denn der biblische Schöpfungsbericht im ersten Kapitel der Genesis zu verstehen ist: Ist das alles eine große Lüge, ein widervernünftiger Gegenentwurf zu den naturwissenschaftlichen Theorien von der Entstehung des Universums und der Menschen, die zu glauben die Kirche die Menschen lange genug gezwungen hat, oder handelt es sich um einen Text, der alles sein will, aber kein naturwissenschaftlicher Forschungsbericht?

Einer der noch jüngeren Schüler, ich nenne ihn hier einmal Sebastian, meldet sich fast in jeder Stunde um zu betonen, dass er trotz aller Auseinandersetzung und Beschäftigung mit dem biblischen Text unter keinen Umständen daran glauben werde, weil er so viel "Schwachsinn" enthalte. Ich versuche ihm dann einerseits zu erklären, dass er nicht daran glaube müsse und bewundere ihn andererseits, denn sein Streit mit dem Text, sein Reiben an den Aussagen ist echt. Er lässt sich wirklich darauf ein, versucht zu vereinbaren, fragt wie das alles zusammen gehen kann, Schöpfung in sieben Tagen und die Theorien vom Urknall und der Evolution.

Diese tiefe Auseinandersetzung mit solchen Fragen, mit scheinbaren Widersprüchen zwischen Glauben und Naturwissenschaft vermisse ich bei "alteingesessenen Christen" manchmal. Vielleicht haben wir uns zu sehr an das Nebeneinander gewöhnt: Die Naturwissenschaften erklären unumstößlich wie die Welt ist, der Glaube steht dann recht unvermittelt daneben, wird von dem, was um ihn herum passiert, was sich um ihn herum entwickelt nicht wirklich berührt und schon gar nicht verunsichert. Und ich erwische mich ja häufig selber: Wie oft arrangiere ich mir gesellschaftliche oder wissenschaftliche Erkenntnisse parallel zu meinem Glauben, lasse sie einfach undurchdacht nebeneinander stehen, vollkommen spannungslos!

Dabei wäre eine wirkliche Begegnung, eine Reibung zwischen diesen beiden Aspekten notwendig, da beide zum menschlichen Leben gehören. Denn die Ansichten eines Naturwissenschaftlers über Gott oder das Leben nach dem Tod können vermutlich genauso erhellend sein, wie das, was Theologen über die Enstehung der Welt dachten und denken. Auf seine Weise kann jeder zur Wahrheit beitragen. Wichtig ist nur, dass man sich um die Wahrheit bemüht und nicht aus Angst vor Reibungsverlusten oder aus Trägheit aufgibt, bevor man mit der Suche begonnen hat. Eine Konsequenz ergäbe sich dann noch: Wenn man sich mit seinem Glauben wirklich auf Entwicklungen unserer Gegenwart - seien sie wissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Art - einlässt kann es sein, dass man wirklich umdenken muss. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis Sebastian kommen wird.

Pater Bernhard Kohl, Dominikanerkloster Leipzig

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