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Ökumene konkret

Zeitzeugen diskutierten das Erbe der Ökumenischen Versammlung in der DDR

Halle. Eine ökumenische Wunschkonstellation: Alle Kirchen schicken Vertreter zu einer Zusammenkunft, bei der gemeinsam Texte über die Probleme der Gesellschaft ausgearbeitet werden. Vor 20 Jahren Realität in der DDR. Doch was ist aus der Ökumenischen Versammlung geworden?
Seine Stimme klingt nicht überschwänglich. Aber die Worte, die Altbischof Leo Nowak wählt, sind Zeichen genug. Die Ökumenische Versammlung sei für ihn etwas wie eine Vision gewesen. "Es war Ökumene konkret. Das hat mich damals vom Hocker gerissen." 19 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften hatten 1988 und 1989 insgesamt 146 Delegierte zu drei Vollversammlungen nach Dresden und Magdeburg entsandt. Bischof Nowak war einer von ihnen.

Vier weitere sitzen an diesem Abend neben ihm im Altarraum der Marktkirche in Halle auf dem Podium: die katholische Theologin Brigitte Schmeja, Moderator Joachim Garstecki, ehemaliger Generalsekretär von Pax Christi, sowie von evangelischer Seite die beiden ehemaligen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts Reinhard Höppner (SPD) und Christoph Bergner (CDU). Vor 20 Jahren diskutierten sie mit Christen aller Glaubensrichtungen über die Thementrias Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR. Heute blicken sie als Zeitzeugen zurück und stellen sich der Frage, was geblieben ist von der einstigen Vision.

Reinhard Höppner macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. "So viel war in den Jahren 1988/89 ökumenisch in Bewegung geraten. Wir wünschten uns, dass das Papier in allen deutschen Gemeinden diskutiert würde; stattdessen ist es in das Loch der Wende gefallen." Und nicht nur um den Inhalt der Texte ist es ihm schade. "Die ehrliche Art der interkonfessionellen Zusammenarbeit besitzt heute seltenheitswert."

Unter der nervösen Aufsicht der Staatsbehörden rangen die Vertreter der Kirchen und kirchlichen Gruppen vor 20 Jahren gemeinsam um Formulierungen. Ihr großes Faustpfand: Die breite Unterstützung der Basis. Rund 10 000 Anregungen und Formulierungsvorschläge gingen bei der Ökumenischen Versammlung ein. "Mit dieser Zahl hatte im Vorfeld niemand rechnen können", zeigt sich Brigitte Schmeja noch heute beeindruckt vom Mut der Menschen.

Wenige Monate später kollabierte das sozialistische System der DDR. Die Ökumenische Versammlung gilt im Rückblick als eine der wichtigen Vorboten der Friedlichen Revolution. Einen konstituierten Nachfolger in der Bundesrepublik oder gar weltweit hat sie jedoch nicht gefunden. "Die Kirchen haben damals weniger auf ihre internen Unterschiede geachtet und sind aufeinander zugegangen. Heute fehlen der ökumenischen Zusammenarbeit leider häufig die konkreten Projekte", sagt Altbischof Nowak.

Die Ökumenische Versammlung und ihre Ergebnistexte können wichtige Impulse setzen für die gegenwärtige Lage der Kirchen und der Welt. Darin war man sich auf dem Podium einig. Die Voraussetzung: Die Papiere nicht in den Mottenkisten verstauben lassen, sondern neu lesen. "Zwar hat sich die politische Konstellation verändert", sagt Joachim Garstecki. "Die Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind heute aber genau so aktuell wie damals."

Von Kilian Trotier

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