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Anstoß

Wie Gott auf unsere Felder schaut

Guido Erbrich

Ab und an kam der Tauchaer Pfarrer in unseren Engelsdorfer Gottesdienst. Leo Schwitulla war ein dünner netter alter Herr, der manchmal unseren Pfarrer beim Gottesdienst vertrat. Für uns Ministranten war das spannend. So verglich er einmal mit Verweis auf Matthäus 23 manche Christen mit den getünchten Gräbern im Heiligen Land. Das ganze Kapitel liest sich wie ein Rezeptbuch falsch verstandenen Glaubens. Und für Ministranten schien das Thema nichts herzugeben. Getünchte Gräber sind Predigtzeug für Erwachsene. Aber bei Pfarrer Schwitulla war an Weghören nicht zu denken. Er erklärte, wie die Friedhöfe in Israel aussehen und wie ein hell getünchtes Grab in der Sonne strahlt. Das bekommt jeder mit und staunt. Ein getünchtes Grab, das ist schon etwas. Kaum zu glauben, dass darunter nur ein Toter steckt. Und hier lief Pfarrer Schwitulla zur Hochform auf. Wie viele Gläubige geben sich eine Mordsmühe, dass alles gut und richtig aussieht. Sie achten darauf, dass die Fassade stimmt und alles strahlt. Nach außen hin ist alles paletti, aber in ihrem Inneren tanzen die Dämonen. Einige besonders Fromme lächeln alles und jeden an, als wollen sie sagen: Schaut mal, wie schön alles ist. Ihre ganze Erscheinung ist eine strahlende Provokation: Seht her, was für ein guter Christ ich bin - ich lasse keine Messe aus, knie immer brav und achte darauf, dass ja keiner an der falschen Stelle steht oder sitzt. Extravaganzen sind ein Gräuel.

Tja, so ähnlich hat das Pfarrer Schwitulla beschrieben. Dann holte er tief Luft und sagte das für uns Ministranten entscheidende Wort: "Todsterbenslangweilig". Es ist kein Leben drin - und wo kein Leben drinnen ist, verschwindet der Geist Gottes. Wenn Glauben so todsicher daherkommt, haben die Überraschungen Gottes keinen Platz. Ein getünchtes Grab sieht ja nur fromm aus. Wer nicht wie ein getünchtes Grab sein will, muss Glauben lernen. Glauben daran, dass Gottes Wege unergründlich sind, dass Gott die liebt, die Fehler machen und die nicht so brav und fromm sind, wie es sich für gute Christenmenschen ziemt. Gott ist ein Gott des Lebens, da muss er sich um die getünchten Gräber, die ohnehin alles zu wissen meinen, nicht kümmern. Deshalb geht er zu den Sündern, denn - nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Also stehen wir zu unseren Fehlern, versuchen wir, es besser zu machen, und lassen wir das unselige Vergleichen mit anderen. Wo wir nicht weiterkommen, gibt es den liebenden Gott der uns seine Arme entgegenstreckt - und unsere Stärken und Schwächen kennt, wie kein anderer.

Uns Ministranten stand der Mund offen. Wir hatten ja schon die getünchten Gräber vor unserem inneren Auge. Natürlich wussten wir, wer von den Leuten in den Kirchenbänken uns wie ein getünchtes Grab vorkam - und schwupps, schon hatten auch wir unseren Fleck weißer Farbe abgekriegt. Da waren wohl doch nicht die anderen gemeint, sondern auch wir!

Ob ich die Predigt nach all den Jahren wörtlich richtig wiedergegeben habe, weiß ich nicht. Aber ich glaube und hoffe, dass die Botschaft stimmt. Und dass es immer mal wieder jemanden gibt, der sie so mit Leben füllt, wie Pfarrer Schwitulla, der Gott schon lange von Angesicht zu Angesicht sehen kann. Schönen Dank nach oben!

Guido Erbrich, Roncalli-Haus in Magdeburg

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