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Ein Gespräch mit Bischof emeritus Leo Nowak anlässlich seines 80. Geburtstages

Magdeburg. Am 17. März ist der Magdeburger Bischof emeritus Leo Nowak 80 Jahre alt geworden, an diesem Samstag feiert er mit seinen Gästen seinen Geburtstag. Der Tag des Herrn sprach mit ihm.

Bischof Leo Nowak

Herr Bischof, ob Festakademie zu Johannes XXIII. oder Forum zur Ökumenischen Versammlung in der DDR - bei nicht wenigen der Veranstaltungen im Bistum und auch darüber hinaus sind Sie mit von der Partie. Mit 80 Jahren ein erstaunliches Pensum ...

Das ist ein bisschen ein Ballanceakt: Einerseits tut es gut, mit seinen Erfahrungen gefragt zu sein. Wenn ich eingeladen werde, fordert mich das heraus, mich intensiv mit aktuellen Fragen auseinanderzusetzen. Ich bin auch froh, wenn ich als Seelsorger in den Gemeinden aushelfen kann. Andererseits wird es mir gelegentlich schon einmal zu viel. Und ich frage mich dann, ob ich dies mit 80 Jahren noch alles machen soll.

Wie ist das, wenn man auf einmal 80 Jahre alt ist? Erschrickt man da?

Ich erlebe es mit Erstaunen und als Geschenk. Meine Eltern sind um einiges früher gestorben. Ich durfte inzwischen so alt werden.

Es heißt, im Alter wenden sich Menschen stärker dem Glauben zu. Wie erleben Sie es?

Für mich verdichten sich die Hauptinhalte des Glaubens, also die Frage nach Gott, die Frage, wer Jesus Christus für mich persönlich ist. Tagesaktuelle Auseinandersetzungen treten in den Hintergrund. Ich möchte die Zeit, die mir bleibt, nutzen, um mich solchen wesentlichen Fragen zu widmen. Mich beschäftigt besonders, dass so viele Menschen in unseren Breiten keinen Zugang zum Glauben finden, aber auch die Frage, wie möglichst viele von uns Christen zu einer persönlichen Beziehung zu Christus finden können. Im Bild von den religiös unmusikalischen Zeitgenossen gesprochen steht die Frage, ob wir als Christen genügend gute Musiklehrer sind. Oder ob wir oft nicht den richtigen Ton treffen, um deutlich zu machen, welches Geschenk der Glaube für jeden Menschen ist und dass nur Christus uns wirkliche Hoffnung schenken kann in allen Dunkelheiten des eigenen Lebens und der Welt - weil er selbst glaubwürdig ist.

Sie waren 20 Jahre Gemeindeseelsorger und noch länger in leitender Funktion im Seelsorgeamt und später als Bischof tätig. Wie sehen Sie diese Zeit?

Als Jugendlicher, der aus einem gläubigen Elternhaus kam, habe ich die Diskrepanz zwischen ehrwürdiger Tradition in der Kirche und dem Versuch junger Priester erlebt, aufgeschlossen gegenüber der Zeit Glauben und Christsein zu leben. Die jungen Seelsorger kamen aus der liturgischen, der Jugend- und der Bibelbewegung. Ihr Anliegen war es, im Glauben Gemeinschaft zu leben, die Bibel zu lesen und die Liturgie lebensnah zu gestalten. So wurde ich geprägt und so habe ich wie viele andere das Konzil als großartiges Signal empfunden, dass es jetzt richtig losgehen werde mit dem Glauben und der Kirche.

Das jedoch ist nicht so eingetreten ...

Manche haben in ihrer Euphorie Ende der 60er Jahre eine noch stärkere Öffnung und Veränderung der Kirche erwartet und waren dann enttäuscht. Bei aller Öffnung muss es stets auch um die Identität gehen. Das ist für mich überhaupt wichtig geworden: Offenheit, von der ich viel halte, und Identität gehören unbedingt zusammen. Dies gilt in allen Fragen des kirchlichen, aber auch des persönlichen Lebens. In der DDR musste die Kirche angesichts von Vereinnahmungs- und Zersetzungsbestrebungen durch den Staat vor allem die Identität wahren. Das haben die Bischöfe erkannt und die Kirche entsprechend geleitet.

Besonders gegen Ende der DDR gab es aber auch ein Ringen um ein christliches Engagement bei der Lösung von Problemen in der Gesellschaft und insofern auch hinsichtlich der Beteiligung der katholischen Kirche an der Ökumenischen Versammlung ...

Wir haben uns schließlich daran beteiligt. Ich selbst habe bei der Ökumenischen Versammlung mitgearbeitet. Und das war gut so. Alle damit verbundenen Bemühungen sind Gott sei Dank in die Friedliche Revolution eingemündet.

In dieser Zeit sind Sie Bischof geworden und hatten große Verantwortung zu tragen ...

Auf einmal gab es ganz viele Möglichkeiten für die Kirche - etwa im Bereich der Gründung von Schulen, in der Akademiearbeit, auf dem Feld der Caritas, im gesellschaftspolitischen oder im wirtschaftlichen Bereich. Die Möglichkeiten mussten schnell genutzt werden. Manches habe ich in der damaligen Euphorie auch zu blauäugig gesehen. Doch die Zeit, ausgiebig Entscheidungen abzuwägen, gab es nicht. Es musste gehandelt werden.

Würden Sie heute die Schwerpunkte Ihrer seelsorglichen Arbeit als Priester und später als Bischof anders setzen?

Nein, im Gegenteil. Ich würde heute noch mehr dafür tun, möglichst viele Christen zum Engagement in Gemeinde und Gesellschaft zu ermutigen und zu befähigen. Ich halte es weiter für unerlässlich, unterschiedlichste Menschen ins Gespräch miteinander zu bringen. Genauso ist es wichtiger denn je, den Eheleuten zu helfen, eine lebendige Beziehung zu leben, eine Familie zu gründen und die Kinder auf ihrem Weg zu begleiten. Ich würde mich noch mehr darum mühen, die Menschen zu einem persönlichen Verhältnis zu Christus zu führen.

Eines Ihrer zentralen Anliegen, Sie sagten es eben, ist es, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Ihr bischöflicher Wahlspruch lautet: "Alles in Christus vereinen" (Eph 1,10). Dem diente auch die Einberufung des Pastoralen Zukunftsgespräches gegen Ende Ihrer Amtszeit …

Aufgabe des Bischofsamtes ist es, die beiden Aspekte Offenheit und Identität und ihre Vertreter im Gespräch zu halten. Mein Anliegen mit dem Pastoralen Zukunftsgespräch war es, möglichst viele aus dem Volk Gottes in das Ringen um den Weg der Kirche in die Zukunft einzubeziehen. Ich habe die Gläubigen darum gebeten, mitzuhelfen, dass in unserer Ortskirche weder Identität noch Offenheit verloren gehen. Übrigens gehörte und gehört es auch zu meinen wichtigsten Anliegen, die verschiedenen Konfessionen einander näher zu bringen. Von Johannes XXIII. stammt der Satz: Christliches Denken und christliche Existenz sind heute nur noch in ökumenischer Verantwortung und Gemeinsamkeit möglich.

Unsere Kirche ist gegenwärtig von Auseinandersetzungen um ihre theologische und pastorale Grundausrichtung gezeichnet. Wie stehen Sie dazu?

Ich komme auf den mir wichtig gewordenen Zusammenhang von Offenheit und Identität zurück. Nach meiner langen Erfahrung können wir in der Kirche die Identität nur bewahren, wenn wir die Flucht nach vorn antreten. Wir müssen die Herausforderungen der modernen Zeit annehmen und uns mit ihr auseinandersetzen. Der heutige Zeitgeist ist nicht in allem gut, aber auch nicht alles ist schlecht. Wir müssen schauen, wo wir darin Gottes Willen erkennen und welchen Einflüssen wir wehren müssen.

Sie sprechen von der Dialektik von Identität und Offenheit. Was bedeutet für Sie dabei Identität?

Zur Identität des Glaubens gehört selbstverständlich die Bibel, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis, überhaupt vieles aus der Tradition der Kirche, was die Substanz unseres Christseins ausmacht. Dabei gilt, was Johannes XXIII. gesagt hat: Die Substanz des Glaubens ist das eine, etwas anderes seine Formulierung. Zur Substanz gehört es auch, in wichtigen Fragen etwa des Lebensschutzes am Beginn und am Ende des Lebens oder gegen Praktiken eines Manchesterkapitalismus Stellung zu beziehen.

Die Kritiker des Aggiornamento (auf den heutigen Stand bringen) des Konzils sagen, die Öffnung habe der Kirche nichts gebracht?

Das ist nicht zu beweisen. Vielleicht sähe es um den Glauben hierzulande heute noch viel kritischer aus. Immerhin gibt es zum Beispiel auch nach so vielen Jahren des verordneten Atheismus hierzulande lebendige Kirche. Was allerdings bedenklich ist: Wir erreichen mit unserer Verkündigung nicht das Lebensgefühl der breiten Masse der Menschen. Wie können wir ihnen deutlich machen, dass der Glaube an Christus eine Lebenshilfe, ja sogar lebensnotwendig ist? Das ist der Knackpunkt. Auf jeden Fall gilt es, immer wieder die existentielle Seite dieses Glaubens zu verdeutlichen, ihn mit dem wirklichen Leben der Menschen in Verbindung zu bringen. Wir begehen derzeit das Paulus- Jahr. Paulus hat sich in seiner Christus-Verkündigung auf die hellenistische Welt eingelassen. Er kann uns gutes Vorbild sein.

Manche Lebensäußerungen der Kirche wie die jüngsten Entscheidungen um die Traditionalistenbischöfe scheinen suchende Menschen auf ihrem Weg zum Glauben eher zu behindern …

Das stimmt und ist ärgerlich genug. Um so erfreulicher ist es, dass Papst Benedikt mit einer persönlichen Erklärung an die Öffentlichkeit gegangen ist und sich entschuldigt hat. Ohnedem hätte sich der schon länger bestehende Eindruck noch verstärkt, dass Papst und Kirche einen traditionellen Kurs einschlagen. Vielleicht besteht aber durch diese Ereignisse auch die Chance, dass unser Verhältnis zur Kirche neu bedacht wird. Die Kirche ist nicht perfekt. Sie darf nicht mit dem Reich Gottes verwechselt werden. Dieser Unterschied wird oftmals nicht genügend berücksichtigt. Dennoch müssen wir grundsätzlich daran festhalten: Glauben geht nicht ohne kirchliche Gemeinschaft. Wie diese zu gestalten ist, darum muss immer neu gerungen werden. Die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche sind dabei verbindlich.

Interview: Eckhard Pohl

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