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Anstoß

Die Angst an der Wirklichkeit prüfen

Schwester Susanne Schneider

In unsere Kontaktstelle kommen manchmal Menschen, die psychisch in einer Krise stecken oder schon seit längerer Zeit psychisch krank sind.

So kam vor kurzem ein junger Mann. Er war unauffällig gekleidet, doch sobald er in unseren Räumen war und spürte, dass wir bereit waren, ihm zuzuhören, begann er, ohne Punkt und Komma zu reden. Dazu ging er unruhig auf und ab, und dann wollte er sofort eine finanzielle Unterstützung, da er in Nöten sei.

Die ehrenamtliche Mitarbeiterin war zunächst zurückhaltend höflich, doch dann fühlte sie sich überfordert und gab das Gespräch an mich ab.

Als wir eine Woche später diese Situation noch einmal reflektierten, erzählte sie mir, dass sie oft - so auch in der eben beschriebenen Situation - Angst fühle und dann unfähig sei, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie schäme sich deswegen, weil die Angst sie lähme und diese Scham mache alles nur noch schlimmer. So sei sie in einem Teufelskreis von Angst, Scham und Ärger über sich selbst gefangen.

Nun lässt sich gegen Angst mit moralischen Appellen wenig ausrichten. Angst ist spontan und deswegen zunächst nicht zu steuern. Menschen haben Angst, wenn sie Situationen oder Menschen gegenüberstehen, die sie schlecht einordnen können. Angst lässt uns nach der Sicherheit suchen, die wir für unser Wohlbefinden brauchen.

Unnötig verstärkt wird die Angst allerdings, wenn man sich in der Fantasie ausmalt, was alles passieren könnte, Zum Beispiel, dass der junge Mann anfängt zu randalieren oder die Mitarbeiterin angreift. Solche Szenarien haben meist mit der Wirklichkeit wenig zu tun.

Um Ängste abzubauen, kann es hilfreich sein, sich der Wirklichkeit zu stellen. In unserem Fall würde das bedeuten, dass die Mitarbeiterin das Gespräch mit dem jungen Mann sucht. Sie hätte ihn an eine kompetente Stelle weitervermitteln können. Oder sie hätte mit dem jungen Mann den nächsten (kleinen) Schritt besprechen können. Danach hätte sie ihre Fantasien prüfen können: Ist er wirklich gewalttätig? Ist er wirklich unhöflich oder verbirgt sich hinter seinem Redeschwall nicht vielmehr eine Fülle nicht geordneter Gedanken? Ist er wirklich daran interessiert, hier Randale zu machen?

In unserer Kontaktstelle haben wir die einmalig Chance, mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu kommen - und mit unseren eigenen Gefühlen und Empfindungen bei der Begegnung. Ängste, die uns lähmen, können durch den Kontakt mit der Wirklichkeit abgebaut werden. So sind nicht nur unsere Besucher die Beschenkten, sondern auch wir selbst.

Schwester Susanne Schneider, Missionarinnen Christi, Kontaktstelle Orientierung Leipzig

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