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Zwei Gesichter eines Feiertags

Robert Hohmanns Familie wurde am 3. Oktober 1961 mit seiner Familie zwangsausgesiedelt

Wiesenfeld. Der 3. Oktober ist für Robert Hohmann ein zwiespältiger Tag: Dankbarkeit für die Einheit Deutschlands mischt sich mit dunklen Erinnerungen an einen persönlichen Schicksalstag.

Freiwillig hätte Familie Hohmann (hier Mutter Elisabeth mit Robert und seinem kleinen Bruder) ihr Haus in Wiesenfeld nie verlassen. Nach der Zwangsevakuierung verbrachten die Hohmanns eine Zeit in einem Dorf in der Nähe von Leipzig, bis sie Zuflucht auf der Huysburg bei Halberstadt fanden.

Vier Jahre alt war er, als am Morgen des 3. Oktober 1961 zwei Lkws vor dem elterlichen Bauernhof im 200-Einwohner-Dorf Wiesenfeld in der thüringischen Rhön hielten. Soldaten der DDR-Kampfgruppen umstellten das Haus. Ein Offizier klopfte an die Tür: "Die Sicherheit des Staates erfordert, dass Sie mit Ihrer Familie das Grenzgebiet verlassen ..."

Einzelne Szenen, die Robert Hohmann bis heute klar vor Augen hat, mischen sich in seinem Gedächtnis mit dem, was ihm die Eltern später berichteten. Das Haus, das der Großvater selbst gebaut hatte, lag nur 500 Meter von der Grenze zur Bundesrepublik entfernt. Als sich der alte Mann weigerte, den Soldaten zu folgen, hielt einer ihm Handschellen und ein Maschinengewehr hin. Die Drohung war unmissverständlich: "Sie können auch diesen Weg gehen." Roberts Hohmanns Großvater erlitt eine Herzattacke und wurde mit dem Krankenwagen abtransportiert. Dem Rest der Familie blieb nur wenig Zeit, einige Habseligkeiten zusammen zu packen, bevor die Reise ins Ungewisse begann. Mutter Elisabeth war gerade in Kittel und Holzpantinen vom Melken gekommen. Die Soldaten verboten ihr, sich umzuziehen. Von ihrer eigenen Mutter, die am anderen Ende des Dorfes wohnte, durfte sie sich nicht verabschieden. Mit Robert und seinem kleineren Bruder wurde sie in ein Auto verladen, der Vater musste in ein zweites Fahrzeug einsteigen.

Hohmanns waren die einzige Familie aus Wiesenfeld, die nach dem Mauerbau im Rahmen der "Grenzsäuberungsaktion Kornblume" zwangsausgesiedelt wurde. Neun Jahre zuvor hatte es eine erste Deportationswelle entlang der innerdeutschen Grenze gegeben. Damals waren mehrere Wiesenfelder ihrem drohenden Abtransport durch Republikflucht zuvorgekommen.

Warnungen hatte es auch diesmal gegeben. Roberts Hohmanns Vater Leo wusste lange, dass er den Machthabenden der DDR missliebig war. Mitte der 50er Jahre saß er zwei Jahre lang wegen "staatsfeindlicher Hetze" im Gefängnis, nachdem er in der Dorfgaststätte gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft gewettert hatte. Freiwillig den Heimatort zu verlassen, kam für die Familie trotzdem nicht infrage. Zu sehr hing der Großvater an dem eigenhändig erbauten Haus und an dem Baugeschäft, das er im Nachbarort Geisa gegründet hatte.

"Subversive und kriminelle Elemente" hatte man den Bewohnern des Dorfes bei Leipzig angekündigt, in dem Hohmanns nun einquartiert wurden, in einen heruntergekommenen, von Ratten überlaufenen Hof. Dass die Eltern Hohmann in der neuen "Heimat" angespuckt wurden, wunderte sie nicht, schmerzte aber trotzdem.

Auch in den folgenden Jahren wurden der Familie immer wieder Steine in den Weg gelegt. Eine Einreiseerlaubnis nach Wiesenfeld bekam Elisabeth Hohmann nicht einmal zur Beerdigung ihrer Mutter. Auf dem Schul- und Berufsweg hatten die Kinder Nachteile, weil sie als "politisch unzuverlässig" galten, der sozialistischen Jugendorganisation nicht beitraten und weil sie sich in der katholischen Kirche engagierten. Seine Aufnahmeprüfung für ein Übersetzerstudium an der Leipziger Karl-Marx- Universität bestand Robert Hohmann problemlos. Einen Studienplatz bekam er trotzdem nicht. Die Begründung: Im angestrebten Beruf wäre er unter Umständen staatlicher Geheimnisträger. Da sein Vater als Hausmeister bei der Kirche arbeite, zweifle die Prüfungskommission an der Eignung des Sohnes. Schriftlich wollte ihm das allerdings niemand geben.

Robert Hohmann ist trotz aller Widrigkeiten dankbar für seinen bisherigen Lebensweg. Foto: Elisa Eichberg

In der Kirche konnte Robert Hohmann aufatmen. Nur hier fand er Menschen, mit denen er über sein Schicksal reden konnte. "Wir waren offiziell zum Schweigen verpflichtet. Für uns Kinder war das eine große Belastung", erinnert er sich. Sein Vater Leo starb ein Jahr vor der Wende. Er selbst zog 1995 wieder in das Elternhaus ein, kurz drauf folgte auch die Mutter. Dass sie trotz des desolaten Gebäudezustands dafür zahlen mussten, findet Robert Hohmann ungerecht.

Begründet wurde der Kaufpreis mit einer Entschädigung, die der DDR-Staat den Zwangsausgesiedelten gezahlt hatte. Eilig zusammengestellte Kommissionen, weitgehend ohne Sachverständige, hatten die enteigneten Besitztümer geschätzt und die ermittelten Summen überwiesen.

Auf die Konten hatten die Betroffenen aber nur begrenzt Zugriff. "Wäre mein Vater früh gestorben, wäre das Geld verfallen", sagt Robert Hohmann.

Einfach hatte er es in seinem bisherigen Leben nicht. Im Beruf musste er immer wieder Durststrecken durchstehen. "Ich bin trotzdem dankbar für meinen Lebensweg", sagt der 53-Jährige. "Meine Eltern haben mir vermittelt, auch in widrigen Umständen standhaft zu bleiben, und das ist nicht die schlechteste Prägung."

Nur zwei Kilometer von Hohmanns Haus entfernt steht in Geisa die Grenzgedenkstätte Point Alpha. Besucher können dort unter anderem ein Interview hören, das Schüler mit Elisabeth Hohmann führten.

Von Dorothee Wanzek


Hintergrund

Ungeziefer und Kornblume

Ungeziefer" bereitete das DDRMinisterium für Staatssicherheit 1952 eine Zwangsumsiedlung entlang der innerdeutschen Grenze vor. Bürger aus dem Grenzbereich, die die Staatsführung als "politisch unzuverlässig" einschätzte, wurden mit ihren Familien zwangsweise in das Landesinnere verfrachtet. Auslöser war die Verordnung des Ministerrates der DDR vom 26. Mai 1952 "über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands", die einen zügigen Ausbau der innerdeutschen Grenze vorsah. Die Einschätzung der "politischen Unzuverlässigkeit" erfolgte oft willkürlich, zum Teil auch durch Denunziationen von Nachbarn. Betroffen waren unter anderem Bürger mit Westkontakten, aktive Christen, ehemalige Angehörige der NSDAP und ihrer Gliederungen, aber auch Bauern, die ihr Ablieferungssoll an den Staat nicht erfüllten und Menschen, die sich in irgendeiner Form negativ über den Staat geäußert hatten. Nach Beginn des Mauerbaus im August 1961 folgte eine zweite groß angelegte Umsiedlung unter dem Stichwort "Aktion Kornblume". Historiker gehen davon aus, dass von der "Aktion Ungeziefer" etwa 10 000 Menschen betroffen waren, von der "Aktion Kornblume" noch einmal etwa 2000. Mehr als 3000 Menschen entzogen sich der Umsiedlung durch Flucht in den Westen. Noch in den 1970er und 1980er Jahren gab es vereinzelte Zwangsumsiedlungen aus dem Grenzgebiet. (dw)

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