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Nicht nur eine Frage des Geldes

Eichsfeldforum diskutiert über Kinder- und Jugendarmut in Deutschland

Heiligenstadt (mh). Kinder- und Jugendarmut ist in Deutschland ein Problem. Gelöst werden kann es nicht allein mit neuen Hartz-IV-Sätzen. Das zeigte eine Veranstaltung des Eichsfeldforums.

"Natürlich ist eine angemessene materielle Ausstattung für Kinder und Jugendliche notwendig", sagt Thomas Holzborn von der Villa Lampe, einem offenen Haus für Jugendliche in Heiligenstadt, und spielt damit auf die Diskussion um die Hartz-IV-Regelsätze an. Aber: "Mit Geld regelt sich nicht alles!" Darin ist er sich mit den beiden anderen auf dem Podium bei dieser Veranstaltung des Eichsfeldforums einig: der Psychologin Heidrun Horstmeier (Sozialdienst katholischer Frauen im Eichsfeld) und dem Sozialpädagogen Clemens Bech (Caritasverband Leipzig). Alle drei nennen an diesem Abend Beispiele und Fakten, die zeigen, dass Kinder- und Jugendarmut in Deutschland nicht nur mit Geld zu tun hat. Wer finanziell benachteiligt ist, dem fehlt es auch in anderen Bereichen am Nötigsten.

Zwar gibt es verschiedene Armutsdefinitionen, doch gelten zwischen 20 und 30 Prozent der jungen Menschen in Deutschland als arm. Besonders betroffen sind junge Ostdeutsche. Diese Zahl ist für Clemens Bech unakzeptabel hoch. Den Betroffenen fehlt es dabei nicht nur am Geld. "Armut heißt weniger Normalität im Leben", zitiert Bech den Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit spricht deshalb von emotionaler, sozialer und kultureller Armut. Bech nennt dafür drei Bereiche: Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe.

Einengung der Lebenswelt

Bessere Bildung, Gesundheit und mehr gesellschaftliche Teilhabe sind auch ohne mehr Geld möglich. Für Bech beginnt das beim normalen Familienalltag: In vielen armen Familien gebe es beispielsweise keine geregelten Zeitstrukturen mehr. Kinder werden ohne Frühstück oder der Witterung angepasste Kleidung in Schule und Kindergarten geschickt. Und die Einengung der Lebenswelt der oft arbeitslosen Eltern überträgt sich auf die Kinder. "Da gibt es dann nicht mal mehr einen Ausflug aus dem Neubaugebiet ins Stadtzentrum", sagt Bech.

Beispiele, die Heidrun Horstmeier und Thomas Holzborn aus ihrer Arbeit mit jungen Menschen ergänzen können: Da fehlen im Elternhaus die notwendigen Kontrollen in Sachen Ordnung im Ranzen des Schulanfängers. Da sind Kinder nicht in der Lage, eine emotionale Beziehungen zum Partner der Mutter aufzubauen, weil dieser ständig wechselt. Da können Eltern ihren Kindern nicht helfen, sich in einer komplexer werdenden Gesellschaft zurecht zu finden, weil sie selbst keine Orientierung haben. "Bei all dem kommt Geld erst einmal gar nicht vor", sagt Holzborn, auch wenn manche Eltern denken, dass sie derartige Defizite mit einer Playstation oder einem Handy für die Kinder ausgleichen können.

Wie sich junge Menschen, die in einer solchen Situation aufwachsen, fühlen und wie wenig Perspektiven sie haben, führt für Thomas Holzborn die aktuelle Shell- Jugendstudie vor Augen: Zwar blicken 59 Prozent der Befragten optimistisch in die Zukunft, "doch bei den Abgehängten wächst der Frust". Erfolg bleibe eine Frage der Herkunft, weil Bildung sich nach wie vor sozial vererbe. Wer in die sogenannte "Unterschicht" hineingeboren werde, habe eine erhöhte Chance, seinen Lebensunterhalt nicht durch eigene Arbeit sichern zu können. Benachteiligte Jugendliche sind nicht in der Lage, sich selbst so zu aktivieren, dass sie das ersehnte bürgerliche Leben erreichen. So lauten einige Erkenntnisse der Studie.

Stabilität, klare Strukturen und emotionale Bindung

Was tun? "Junge Menschen brauchen Stabilität, klare Strukturen und emotionale Bindungen", sagt Heidrun Horstmeier. "Benachteiligte Jugendliche müssen die Wertschätzung ihrer Person erfahren und brauchen Erfolgserlebnisse", betont Thomas Holzborn. Und Clemens Bech spricht sich neben dem Einsatz von Teams aus Sozialarbeitern und Psychologen an Schulen für mehr Vorbeugung in den verschiedenen Bereichen aus. "Wer hier spart, zahlt später drauf." Die ersten Anzeichen sind schon da: "Die Fälle für die Familienhilfe nehmen in Zahl und Schwere zu."

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