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Rufen reicht nicht mehr

Wege aus der Kirchenkrise in Ostdeutschland

Magdeburg. Über neue Wege und Möglichkeiten einer missionarischen Kirche im Osten Deutschlands sprach der Theologe Guido Erbrich beim Forum Norbertinum im Magdeburger Roncalli-Haus.
Die Situation der Christen in Ostdeutschland ist eine der schwierigsten in ganz Europa: Nur etwa ein Viertel der Bevölkerung bekennt sich noch zum Christentum, der Trend ist weiterhin rückläufig und Nachwuchs ist Mangelware. Die Säkularisierung durch Jahrzehnte von nationalsozialistischer und sozialistischer Diktatur hat deutliche Spuren hinterlassen, "Supergau der Kirche", nennt das der Erfurter Theologe Eberhard Tiefensee in seinem Buch "Religiös unmusikalisch".


Die Säkularisierung hat Spuren hinterlassen

Trotzdem beobachtet der Direktor der katholischen Akademie des Bistums Magdeburg, Hans-Joachim Marchio, schon seit Mitte der 70er Jahre eine gegenläufige Entwicklung besonders in der Seelsorge, eine "Religionisierung", wie er es nennt. "Die meisten im Kirchenbetrieb nehmen das gar nicht wahr, habe ich den Eindruck", sagte Marchio einleitend zum Vortrag des Theologen Guido Erbrich über "Neue Wege der Kirche in Ostdeutschland".

Erbrich sieht trotz des vermeintlichen "Supergau" eine "außergewöhnliche Chance" für die Kirchen und wies auf erfolgreiche christliche Projekte und ungenutzte Potenziale hin. Grundlegend für die Erfüllung des christlichen Auftrages ("Gehet hin in alle Welt und verkündet das Evangelium") sei die "Öffnung nach außen", so der Theologe. Er zitierte dazu den österreichischen Theologen Paul Michael Zulehner, der in den neuen Ländern die Chance für eine pionierartige, missionarische Kirche sieht.

Der Referent Erbrich reduzierte das hiesige Problem auf die bildhafte Frage: "Lassen wir uns lieber vom großen Fisch verschlucken oder sind wir bereit herauszugehen?" Damit zog er einen Vergleich vom christlichen Selbstverständnis des frustrierten Propheten Jona zu dem des offensiv verkündigenden Apostels Paulus. In der jetzigen Situation müsse die Kirche im Osten ihre Opferrolle und Überwinterungsstrategie ablegen und die Realitäten anerkennen, denn nun sei eine paulinische Kirche gefragt, betonte Erbrich und erinnerte zudem an das laufende Paulus-Jahr.


Potenziale bei Vertretern der modernen Milieus

Der Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung in Sachsen (KEB) bemühte noch ein zweites Bild, um die Lage der christlichen Kirchen im Osten zu verdeutlichen: "Die Gemeinden sind in den 40 Jahren an den Rändern geschrumpft - wie auf einer rotierenden Scheibe." Das Rufen zum Festhalten reiche nicht mehr aus, sondern die Hände müssten nach außen gereicht werden, sagte der viele Jahre in der Jugendseelsorge tätige Erbrich. Dies könne beispielsweise über eine neue, moderne Sprache oder neue pastorale Formen geschehen.

Die sogenannte Sinus-Milieu- Studie von 2005 bestätige zwar ebenfalls den massiven Rückzug der Kirche aus der Gesellschaft. Sie offenbare aber auch Potenziale bei modernen Milieus, wenn die Kirche zum Beispiel in der Ästhetik, der Musik oder der Gottesdienstform moderner wäre. Dabei gibt es "schon viele neue Projekte, von denen aber kaum jemand weiß", bedauerte Erbrich die mangelnde öffentliche Wirkung (Tag des Herrn berichtete 2006 wöchentlich über neue Projekte). Er stellte abschließend erfolgreiche Initiativen vor wie "Die Nacht der Kirchen" (von Berlin ausgehend mittlerweile deutschlandweit), "Folge dem Stern" (Erfurt) und "Die Pastorale - Messe für Pastoral" (Schmochtitz), die mitunter schon seit Jahren existieren und eine erste Handreichung sein wollen von der Mitte der rotierenden Kirchenscheibe zum Rand und noch darüber hinaus.

Von Uwe Naumann

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