Mut zum Heiligwerden
Jugendliche nehmen sich eine gerade seliggesprochene Gleichaltrige zum Vorbild
Zwochau. Spektakulär war es nicht, das knapp 19-jährige Leben von Chiara Badano. Doch gerade die Einfachheit, mit der sie im Alltag als Christin lebte, überzeugte die Elf- bis 16-Jährigen, die sich im Zwochauer Zentrum der Fokolar-Bewegung mit der Biografie der soeben seliggesprochenen Italienerin beschäftigten.
Kurz vor ihrem 19. Geburtstag war Chiara Badano an einem aggressiven Knochenkrebs gestorben. "Mich beeindruckt besonders, wie sie trotz ihrer schweren Krankheit für andere da war", sagt Johanna Schumann (15) aus Dingelstädt. "Eigentlich hätte doch sie selbst bedauert und getröstet werden müssen. Stattdessen war sie es, die den anderen Kraft gegeben hat, diese Situation auszuhalten."
Gemeinsam mit rund 70 anderen Teilnehmern des jährlich stattfindenden Zwochauer "Workshop- Wochenendes" hatte Johanna eine Veranstaltungs-Aufzeichnung angeschaut, bei der Freunde, Verwandte und Kirchenvertreter zu Wort kamen, die Chiara Badano persönlich kannten.
Das junge Mädchen hatte sich schon vor dem Ausbruch der tödlichen Krankheit sehr bewusst darum bemüht, ihr Christsein im Alltag zu leben. "Wir haben nur ein einziges Leben, und es lohnt sich, es gut einzusetzen", hatte sie einmal gesagt. Sie gehörte zu einer Jugendgruppe der Fokolar- Bewegung, mit der sie auch nach der Erkrankung intensive Gemeinschaft pflegte. In den Einschränkungen und Schmerzen, die sie zu erleiden hatte, suchte sie immer von neuem die Begegnung mit Gott. Durch die Konsequenz, mit der sie dies lebte, und die Freude, die sie dabei ausstrahlte, fühlten sich viele, die an ihr Krankenbett kamen, bestärkt und ermutigt. Von Chiara Lubich, der Gründerin der Fokolarbewegung, erhielt sie daraufhin den Beinamen "Luce" (Licht).
"Ein völlig normales Mädchen"
Maria Färber (26) aus Halle hat an der Seligsprechung teilgenommen und freut sich, dass Chiara Luce Badano durch dieses Ereignis in besonderer Weise ins Licht gerückt wird. Mit den Kindern und Jugendlichen in Zwochau sprach sie über ihre Eindrücke. Es hat sie berührt, tausende junger Menschen zu sehen, die aus aller Welt nach Italien gereist sind, um ihre Zustimmung für den Lebensweg dieses jungen Mädchens zum Ausdruck zu bringen.
Dabei sei Chiara "völlig normal" gewesen, "wie eine von uns", findet Maria Färber - eine hübsche, beliebte Jugendliche, die gerne Sport trieb, in der Schule eine Klasse wiederholen musste, ihren Klavierunterricht abbrach, weil sie Popmusik mehr mochte als Klassik, mit den Eltern über den Zeitpunkt des abendlichen Heimkommens diskutierte … "Einzig und allein der Stellenwert, den sie Gott in ihrem Leben gegeben hat, macht sie zu etwas Besonderem", sagt die Hallenserin. "Man kann an ihrem Leben sehen, dass man im Alltag heilig werden kann, dass es auf die kleinen Dinge ankommt, die groß werden, wenn man sie aus einer bewussten Entscheidung für Gott heraus tut."
Wer will heutzutage noch heilig werden?
Der 26-Jährigen ist bewusst, dass Heiligkeit als Lebensziel sogar für viele Christen nur schwer nachvollziehbar ist: "Es scheint ganz groß und unerreichbar und hat mit Verzicht zu tun - das geht ja heutzutage gar nicht mehr." Sie selbst geht mit dem Thema ganz unbefangen um: Ein lohnenswerteres und attraktiveres Ziel als die Heiligkeit kann sie sich nicht vorstellen, erzählt sie. Nach Heiligkeit streben bedeutet für sie: "Mich voll und ganz auf Gott auszurichten, ihm jeden Augenblick anzubieten und nach seinem Willen zu fragen, innerlich losgelöst von allem, was mich gerade ärgert, schmerzt oder interessiert." Kein aussichtsloses Unterfangen, wenn man dabei nicht allein unterwegs ist, glaubt sie.
Eindrucksvoller Umgang mit Leid und Sterben
Als Bereicherung empfindet Maria Färber besonders den Umgang der neuen Seligen mit Leiden, Schmerz und Sterben. In ihrem Beruf als Ergotherapeutin erlebt sie häufig, wie schnell Menschen resignieren, wenn Krankheiten oder Schickalsschläge ihnen einen "Strich durch die Rechnung" machen.
An Chiara Luces Leben werde deutlich, dass es Werte gibt, die kostbarer und dauerhafter sind als Leistung und Perfektionismus. Schmerzliche Situationen seien für Chiara eine Herausforderung gewesen, in denen sie Gott sagte: Ich glaube auch jetzt an deine Liebe und möchte sie gerade jetzt erwidern, indem ich alles, was mir widerfährt, aus deiner Hand annehme. Dass eine solche Haltung dauerhafte Freude und innere Freiheit schenkt, konnte die Hallenserin besonders an Chiara Badanos Eltern ablesen, die an den Seligsprechungs-Feierlichkeiten teilnahmen.
Den jungen Menschen, die mit dabei waren, übermittelte die Mutter einen Wunsch, den ihre Tochter kurz vor ihrem Tod geäußert hatte: Andere Jugendliche mögen den Lebensweg, den sie eingeschlagen hat, fortführen, hatte das Mädchen mit einem Bild aus der Sportwelt zum Ausdruck gebracht: "Ich kann nicht mehr laufen, aber ich möchte ihnen die Fackel weitergeben wie bei den Olympischen Spielen."
Antworten auf die Frage nach dem "Sinn des Ganzen"
In Zwochau zeigten sich auch Kinder und Jugendliche, die nie zuvor an einer Veranstaltung der Fokolare teilgenommen hatten, angerührt vom Leben und nicht zuletzt vom Sterben der jugendlichen Seligen. "Fast alle waren bereits mit dem Sterben konfrontiert und meistens ist das Thema für sie der reine Horror", sagt die Leipziger Religionslehrerin An-drea Blaschke, die das Wochenende mitorganisiert hatte. "Manche haben erleben müssen, wie Gleichaltrige ihr Leben leichtfertig aufs Spiel setzen. Die Frage nach dem Sinn des Ganzen ist da fast unausweichlich …"
Bei einem Stationsspiel rund um das Leben von Chiara Luce Badano legte Andrea Blaschke den Mädchen und Jungen das Evangelium als Richtschnur ans Herz, an der auch die junge Italienerin ihr Leben ausgerichtet habe. "Es gibt den Himmel und ihr könnt schon jetzt leben wie dort", laute die Botschaft.
Buchtipp: Gudrun Griesmayr, Stefan Liesenfeld: Chiara Luce Badano. "Gott liebt mich doch!". Ein kurzes intensives Leben; Verlag Neue Stadt; ISBN 978-3- 87996-884-8; 8,90 Euro
Von Dorothee Wanzek
Hintergrund
Chiara Badano
Im Wallfahrtsort Divino Amore bei Rom wurde die 1971 geborene Italienerin Chiara Badano am 25. September knapp 20 Jahre nach ihrem Tod seliggesprochen. Nach fast zwei Jahren des Leidens an einem aggressiven Knochenkrebs war die Tochter eines Lastwagenfahrers und einer Fabrikangestellten am 7. Oktober 1990 gestorben. Ihre Familie und Freunde aus der Fokolar-Bewegung hatten sie bis zum Schluss auf ihrem Weg durch die Krankheit begleitet. Livio Maritano, Bischof von Chiara Badanos Heimatdiözese Acqui, hatte den Seligsprechungsprozess 1999 eröffnet. In einem Interview sagte er kürzlich: "Ihr Zeugnis ist vor allem für Jugendliche bedeutsam. Man muss sich nur anschauen, wie sie ihre Krankheit gelebt hat und welche Reaktionen ihr Tod bei vielen ausgelöst hat. Ein solches Beispiel muss man ans Licht holen." Papst Benedikt XVI. nannte sie am Tag nach der Seligsprechung in seiner Ansprache zum Angelus "einen Lichtstrahl für alle". Er wünsche sich, dass viele in ihr "ein Beispiel für christliche Kohärenz" fänden, und "sich wie sie in Jesus verlieben und die Schönheit des Lebens entdecken" könnten.