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Deutliches Zeichen gegen Nazis

Ökumenische Mahnwachen der Kirchen bringen Menschen ins Gespräch und Gemeinden in Schwung

Leipzig. Mahnwachen vor offenen Kirchen, Lieder, Gebete, Kerzen und vielfältige Aktionen "für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe" prägten das Bild der Stadt Leipzig am vergangenen Samstag. Genauso aber auch ein flächendeckendes Polizeiaufgebot.

Vier Demonstrationen waren von Neonazis angemeldet, aber kurzfristig von Stadt und Verwaltungsgerichten verboten beziehungsweise zu einer Kundgebung am Hauptbahnhof zusammengestrichen worden. Spontandemos wurden deshalb angekündigt. Aber keiner wusste genau, was an diesem nasskalten 16. Oktober in Leipzig passieren würde.

Am Samstagmorgen ist noch alles friedlich und leise: An über 50 Gotteshäusern werden Stände aufgebaut mit Kerzen und Infomaterial gegen Rechtsextremismus, Mahnwachen postieren sich unter großen Bannern mit der Aufschrift "Raum für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe" und allmählich kommen überall einige Menschen zusammen. Koordiniert mit dem Aktionsbündnis "Leipzig nimmt Platz" versammeln sich an rund 100 Orten der Stadt die Einwohner, "um Gesicht zu zeigen für Vielfalt, Freiheit, Menschenwürde", und "dass Nazis in dieser Stadt nicht demonstrieren", hofft der Leipziger Superintendent Martin Henker. "Mahnwache ist ein Beitrag, der sich bewährt hat."

An der Peterskirche in der Südvorstadt ist es gegen Mittag "noch ruhiger als ruhig", sagt Pfarrer Johannes Toaspern lächelnd. Der 55-Jährige hält zusammen mit dem 29-jährigen Gemeindeglied Markus Voigt die Mahnwache und bietet Kaffee, Kuchen aus der Gemeinde und seine Aufmerksamkeit an. "Jede Stunde wird auch gebetet und gesungen", ergänzt Frauke Scholz. Die 61-Jährige ist heute in der Kirche, "um aufmerksam zu machen und etwas für meine Stadt zu tun".

Im Westen von Leipzig ändert sich das Bild: Auf der Karl-Heine- Straße, auf der ursprünglich eine Demonstration entlang führen sollte, sind viele junge Menschen unterwegs, viele zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Von der Mahnwache der Neuapostolischen und der Adventgemeinde nehmen die meisten aber nur kurz Notiz. Die christlichen Nachbarn nutzen das schlechte Wetter, um unter einem Zeltdach an der Straße "gemeinsam Gesicht zu zeigen", wie Tobias Schreiter und Holger Nestler sagen. "Das ist gelebte Nächstenliebe."

Pastor Norbert Gelke von den Adventisten gibt seinen Nachbarn recht, während er mit bunter Kreide Friedenssymbole auf den nassen Fußweg malt. "Es ist auch schön, dass die Freikirchen diesmal von Anfang an bei den Mahnwachen eingeplant sind." Dann holt er seine Gitarre und Gesangbücher, kehrt unter das Zelt zurück und beginnt gemeinsam mit den christlichen Nachbarn zu singen.

Noch weiter westlich, in Lindenau und Plagwitz, wächst das Polizeiaufgebot. Vor dem Kirchencafé der katholischen Liebfrauengemeinde am Ende der Karl-Heine- Straße, wo 13 Uhr die Glocken für das stündliche Gebet läuten, herrscht Anspannung. "Wir schauen mit Sorge, wenn die Polizei hier vorbeifährt", sagen Angelika Pohler und Andreas Pilz von der Mahnwache. Über ihren Köpfen kreist ein Polizeihubschreiber und erschwert nicht nur das Gespräch, sondern auch das stille Friedensgebet. "Wir sind solche Situationen nicht gewöhnt. Aber es ist gut, dass wir hier sind", meinen die beiden Gemeindeglieder.

Drinnen im Kirchencafé sitzen einige Menschen beieinander, wärmen sich auf mit heißem Kaffee und Kartoffelsuppe. "Das Mittagessen haben wir überraschend von der Philippusgemeinde erhalten", freut sich Andreas Pilz über die evangelischen Nachbarn und teilt weiter Essen aus. Dann tritt Frank Kimmerle vom Erich- Zeigner-Haus ein und es wird still. Der Vorsitzende des Vereins für Zivilcourage und Demokratie informiert, dass in einer Seitenstraße etwa hundert Neonazis aufgetaucht seien. "Ich will jetzt keine Panik machen. Nur dass Sie wissen, was los ist." Im Gemurmel der Menschen tauchen einige Fragen auf - und etwas Angst. Wie sich später zeigt, hat die Polizei die Lage im gesamten Stadtgebiet unter Kontrolle.

Im Nordwesten Leipzigs, am Kloster St. Albert in Wahren, treffen sich 13.30 Uhr etwa 50 Menschen zum Friedensgebet. Die meisten haben einen Besen mitgebracht, um die Straße nach der Neonazi-Demo sauber zu kehren. Weil aber keine Rechtsextremen marschieren dürfen, bleiben die Besen nach dem Friedensgebet mit Dominikanerpater Bernhard Venzke unbenutzt.

In der Ossietzkystraße im Nordosten der Messestadt stehen sich die Mahnwachen der katholischen Pfarrei "Heilige Familie" und der evangelischen Matthäusgemeinde schräg gegenüber. Am späten Nachmittag hat der Regen den Plakaten und Transparenten schon arg zugesetzt, aber die Kerzen brennen noch und der Katholik Joachim Pielok ist mit seiner Tochter Maria guten Mutes. "Wir wollen ein sichtbares Zeichen setzen. Dafür muss man die Zurückhaltung aufgeben und in die Öffentlichkeit treten", freut er sich, dass auch einige katholische Gemeinden den ökumenischen Protest unterstützen, nicht zuletzt auch Bischof Joachim Reinelt. Ein bisschen ärgere ihn, dass andere katholische Gemeinden sich nicht eigenständig beteiligen.

Pfarrer Michael Teubner zieht ein positives Fazit des Tages, wie es auch viele andere Gemeinden erlebten: "Es gab ökumenische Begegnungen, wir haben gemeinsam Andachten gehalten, die Stimmung war gut."

Von Uwe Naumann

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