Viele Gemeinden zu unpolitisch
Magdeburg: Akademiker beschäftigten sich mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich
Magdeburg. Angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland hält der Sozialethiker Andreas Fisch besonders die strukturelle Benachteiligung von Familien und die schlechten Bildungschancen für Kinder aus fi nanziell schwachen Elternhäusern für dringend veränderungsbedürftig.
Ethische Überlegungen zu einer gerechteren Wirtschaft- und Sozialordnung in Deutschland waren Ende September Thema eines Akademikertages im Magdeburger Roncalli-Haus. Für den Wirtschaftsethiker Andreas Fisch von der Kommende Dortmund gilt es, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in der Bundesrepublik entgegenzuwirken. Dies sei notwendig, um den sozialen Frieden zu wahren, populistischem Gedankengut vorzubeugen und Ungerechtigkeiten zu beheben. Nur so könne fehlende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesichert und eine angemessene Anerkennung der Leistungen von Menschen sowie notwendige Integration erreicht werden, was dem christlichen Bild von der Würde jedes Menschen entspreche.
Zwölf Prozent der Familien gelten als arm
In seinem Vortrag machte der Referent für Wirtschaftsethik an der Kommende Dortmund zugleich aber auch die Komplexität der Faktoren deutlich. So würde zum Beispiel eine einmalige Umverteilung des Vermögens keine nachhaltigen Veränderungen bringen. Faktoren wie die Tatsache, dass sich in der Regel besser Qualifi zierte und Verdienende untereinander und Frauen und Männer unterer gesellschaftlicher Schichten untereinander heiraten und damit zur wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich beitragen, seien angesichts der Option der Wahlfreiheit nicht veränderbar. Eine gerechtere Lastenverteilung zwischen unteren und mittleren Einkommensschichten einerseits und hohen Einkommensbeziehern andererseits sei durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes hingegen durchaus möglich, so Andreas Fisch. Getreu dem Maßstab "Eigentum verpfl ichtet" müsste zudem auch der Vermögenssteuersatz erhöht werden. Dies könnte zum Beispiel so geregelt werden, dass die Vermögenssteuer erhöht wird, wenn die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht und umgekehrt. Ein anderer Ansatz sei, die Steuersätze zu belassen wie sie sind, aber Steuerhinterziehung effektiver zu bekämpfen.
Für besonders fatal hält der Sozialethiker die "strukturelle Benachteiligung der Familie" und die zunehmende Armut von Familien und Kindern. 12,5 Prozent der Familien in Deutschland gelten als arm, das heißt, sie haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung. 17 Prozent der Kinder seien von Armut betroffen. Neun Prozent der Eltern seien von Altersarmut bedroht. Hier seien Staat und Gesellschaft gefordert, so Fisch, der die Einführung von Bildungsgutscheinen für einen Schritt in die richtige Richtung hält, aber auch eine angemessene Anrechnung der Elternzeit für die Rente oder ein am tatsächlichen Bedarf orientiertes Kindergeld fordert.
Jungen Leuten gleiche Bildungschancen geben
Fisch kritisiert zudem nachdrücklich, dass es in Deutschland für Kinder aus schwierigen Verhältnissen besonders schwer ist, höhere Bildungsziele zu erreichen. Den Menschen der nächsten Generation strukturell gleiche Bildungschancen zu geben, wäre eine Maßnahme gegen die wachsende Schere zwischen Arm und Reich.
Auf die besondere Situation in den neuen Bundesländern etwa im Blick auf die Höhe der Löhne oder die Arbeitslosigkeit ging der Referent kaum ein. Weiteres Thema des Akademikertages war die Finanzkrise und welche Lehren daraus gezogen werden müssten.
In einer anschließenden Podiumsdiskussion kritisierte Professorin Brigitte Schmeja aus Halle, die Wirtschaftsordnung in Deutschland sei immer weniger die soziale Marktwirtschaft. In diesem Zusammenhang beklagte Frau Schmeja, dass es in vielen katholischen Gemeinden "relativ unpolitisch" zugeht. Dabei müssten zum Beispiel Fragen der Sozial- und Wirtschaftsethik diskutiert und Position bezogen werden. Um Veränderungen im Sinne der katholischen Soziallehre anzustreben und zu erreichen, sei es notwendig, sich zu organisieren. Zu mehr politischem Engagement der Christen forderten auch die anderen Podiumsteilnehmer Helmut Hiller, Helmut H. Seibert, Joachim Vogt und Andreas Fisch auf. Seibert, der Diözesanvorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer in Magdeburg ist, betonte, wie wichtig es für einen christlichen Unternehmer sei, bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten Gemeinwohl, Menschenwürde, Demokratie, Recht und Freiheit im Blick zu behalten.
Der nächste Akademikertag ist Ende September 2011 geplant. Dann soll es um "Krankheit - Sterben - Auferstehen" gehen.
Von Eckhard Pohl