Zum Blickwechsel bereit sein
Wie Kirche an vielen Orten präsent bleiben kann / Konferenz der Seelsorger des Bistums
Magdeburg. Damit Menschen hierzulande auch künftig vom Evangelium erfahren und an Gott glauben können, ist unter den Christen offensichtlich ein vielfältiges Umdenken erforderlich. Damit befassten sich Seelsorger jetzt in Magdeburg.
Wie kann es gelingen, dass angesichts derzeit immer kleiner werdender Gemeinden und weniger hauptamtlicher Seelsorger dennoch an möglichst vielen Orten Kirche präsent und erlebbar ist? Diese Frage beschäftigte Priester, Gemeindereferenten und weitere Mitarbeiter in Seelsorge und Caritas am 13. Oktober in Magdeburg bei einem Pastoraltag. Die Verantwortlichen vom Fachbereich Pastoral im Ordinariat hatten den Tag mit der Aufforderung "90 000 Katholiken in 44 Pfarreien - Präsenz vor Ort braucht unsere Blickwechsel" überschrieben.
Welche Blickwechsel nötig sein könnten, skizzierte der Leiter des Fachbereichs Pastoral in Kirche und Gesellschaft, Ulrich Lieb, in einem Impulsreferat, und wurde in vier Arbeitskreisen bedacht. Der Ordinariatsrat erinnerte zunächst an die vom Zweiten Vatikanum (LG 26) hervorgehobene Bedeutung der Ortskirchen, die "in Einheit und Gemeinschaft mit der Gesamtkirche im vollen Sinne die Kirche" repräsentieren. Folglich, so Lieb weiter, "müssen wir auch als zahlenmäßig kleine Ortskirche selbstbewusst unseren eigenen und geeigneten Weg im Gesamt der Kirche finden und gehen".
Hinsichtlich nötiger Blickwechsel in der christlichen Lebenspraxis gelte es, zwischen der Identität einer Gemeinde und der Communio (Gemeinschaft) in der Pfarrei eine gute Balance zu halten, erläuterte der Ordinariatsrat. Kriterium dabei sei, "dass Eigennutz nicht zu Lasten des Allgemeinwohls" gehen dürfe. Zentrum allen christlichen Lebens müsse Jesus Christus sein. "Weder Zentralismus noch Separatismus" seien also angemessen.
Ein Blickwechsel ist nach Ulrich Liebs Darlegungen auch hinsichtlich des Gemeindebildes nötig. "Im Sinne Jesu erweitern sich christliche Gemeinden in dem Maße, als sie sich in den Dienst der Schwachen und Bedürftigen, der Suchenden und Fragenden, der Andersdenkenden, der Ausgegrenzten und Benachteiligten stellen. Alle Menschen im Gebiet einer Pfarrei sind Gemeinden zugeordnet oder bilden neue Gemeindeformen." Dies könnten zum Beispiel Zielgruppenkreise wie Frauengruppen oder Familienkreise, aber genauso auch Personen im Umfeld einer Caritaseinrichtung oder zeitweise bestehende Gruppen mit einem bestimmten gemeinsamen Anliegen sein.
Pfarreien als Netzwerke von Gemeinden und Gruppen
Die neuen Pfarreien des Bistums sollten sich als Netzwerke für alle diese Menschen, die im Pfarrgebiet leben, verstehen. Aufgabe der Hauptamtlichen sei es, dieses Netz von Gemeinden, Gemeinschaften, karitativen Einrichtungen, Familien und Einzelpersonen zu initiieren und zu unterstützen. Im Netzwerk der Pfarrei sollten "nicht nur die katholischen Insider" angesiedelt sein, sondern auch Kirchen-Distanzierte, evangelische und freikirchliche Christen und die vielen nichtkonfessionell gebundenen Menschen. Sie alle gelte es "im Blick zu behalten oder in den Blick zu nehmen".
Damit Kirche in der Fläche präsent bleibt, müssen Ehrenamtliche in den Gemeinden pastorale Veranwortung vor Ort überneAmen, betonte Lieb und kam damit zu einem weiteren nötigen Blickwechsel unter dem Motto "Vom Helfen zur Verantwortung". Die Theologie des allgemeinen Priestertums, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil betont wurde, gehört "nicht in den Bereich von Ideologien", sondern ist im Leben einer Pfarrei "zu praktizieren", so der Fachbereichsleiter für Pastoral. Lieb verwies dabei auf das Projekt "Vor Ort lebt Kirche (VOLK)". Im Bistum wird gerade damit begonnen, es zu erproben (Tag des Herrn, Ausgabe 42).
Ein Blickwechsel sei zudem auch in der Liturgie notwendig. "Je mehr sich die Liturgie innerhalb einer Pfarrei in verschiedensten gottesdienstlichen Feiern entfalten kann, um so mehr wird die Orientierung auf Jesus Christus als dem ,Zentrum der Kirche‘ zur Erfahrung", so Lieb. Auch wenn die Eucharistie die zentrale Feier in der Pfarrei bleibe, könnten "auch nichteucharistische Liturgien auf dem Weg zu Christus Unterstützung und Erweiterung sein". Bei der Entwicklung von Gottesdienstformen, die auch auf Menschen, die keine kirchlichen Insider sind, einladend wirken, können auch Erfahrungen aus der Seelsorge in Krankenhäusern, Kasernen, Justizvollzugsanstalten hilfreich sein, sagte Lieb, und erinnerte an den Liturgietext "Den Glauben feiern" aus den im Pastoralen Zukunftsgespräch des Bistums erarbeiteten Dokumenten. Darin heißt es: "Es geht in der Liturgie vor allem darum, "dass Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche mit dem Geheimnis Gottes in Berührung kommen".
Vor Lieb hatte am Morgen Bischof Gerhard Feige in der Eucharistiefeier die Seelsorger aufgefordert, sich darum zu mühen, "wirklich bei Christus sein zu wollen". Die Leute erwarteten, dass man im persönlichen Leben eines Menschen, der von Gott redet, auch einen Widerhall dieser Rede findet, so der Bischof. "Sie wollen wissen, wie es gehen kann, mitten im Alltag mit seinen Arbeits-, Familienund Gesundheitsproblemen Gott zu finden. ... Im Grunde sehnen sie sich danach, in uns Christus zu begegnen." Dies im Blick zu behalten sei um so mehr nötig, als das Vertrauen vieler Menschen in die Kirche in den letzten Monaten tief erschüttert worden sei. Die daraus erwachsene Krise biete jedoch die Chance, selbst heilsam erschüttert und zu mancher Besinnung und Umkehr geführt zu werden.
Frohe Grundstimmung als Kriterium für Gottes Nähe
Kriterium dafür, auf dem richtigen Weg zu sein, sei eine frohe Grundstimmung, die Paulus im Brief an die Galater auch zu den Früchten des Heiligen Geistes zähle und die sich in der Zuversicht zeigt, "dass die Welt trotz ihrer Unvollkommenheit im Tiefsten doch im Lot ist".
Von Eckhard Pohl