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Ein ökumenischer Glücksfall

Die Friedensdekade wird 30 Jahre alt

Unter dem Motto "Es ist Krieg - entrüstet euch" findet in diesem Jahr vom 7. bis 17. November die 30. Ökumenische Friedensdekade statt.

Alles begann im Frühjahr 1980 in der DDR. Immer neue Rüstungswettläufe bedrohten das prekäre Sicherheitssystem zwischen Ost und West. In dieser Situation schlugen die evangelischen Landesjugendpfarrer einen "Abrüstungstag" vor, den Bußtag am 19. November 1980. Unabhängig davon hatten die evangelischen Kirchen in Ost und West beschlossen, am 9. November einen "Bittgottesdienst für den gefährdeten Weltfrieden" durchzuführen. Zwei Daten, eine Idee: die dazwischen liegenden zehn Tage als Gelegenheit für Aktivitäten kirchlicher Friedensarbeit zu nutzen. Die Friedensdekade war geboren. Vom 9. bis 19. November 1980 fand sie in der Verantwortung des Bundes der Evangelischen Kirchen und der evangelischen Landesjugendpfarrämter erstmals in der DDR statt.

Biblische Perspektive und aktuelle politische Aspekte

Heute gehört die Ökumenische Friedensdekade zum festen Inventar christlicher Friedensarbeit im vereinten Deutschland. Sie bringt sowohl die biblischen Perspektiven als auch aktuelle politische Aspekte des jeweiligen Themas zur Geltung. Ihre jährliche Wiederkehr ist wie der Besuch einer guten Bekannten, die längst zur Familie gehört - was nicht ausschließen soll, sie gerade in katholischen Gemeinden noch bekannter und heimischer zu machen. 30 Jahre Erfolgsgeschichte zeigen, was die Friedensdekade ist: ein ökumenischer Glücksfall. Doch der fiel nicht vom Himmel.

Die Friedensdekade war und ist eingebettet in den Ideen-Transfer und gegenseitiges Lernen zwischen Friedens-Initiativen in Ost und West. Kaum hatte der "Interkirchliche Friedensrat" der Niederlande 1979 die "Friedenswoche" erfunden, machte sie 1980 auch schon in der Bundesrepublik Schule. Die rüstungskritischen Ideen der Friedensbewegung sollten durch das Instrument der "Friedenswochen" gesellschaftlich breiter verankert werden. Diesem Interesse entsprang auch die Friedensdekade. Sie war eingebettet in den Austausch der europäischen Friedensbewegungen jener Jahre. Dank der guten ökumenischen Vernetzung von Gemeinden und kirchlichen Friedensaktivitäten fanden Impulse aus dem Westen schnell den Weg in die DDR - und umgekehrt. Das Motto der ersten Friedensdekade 1980 hieß "Frieden schaffen ohne Waffen" und stammte aus der Bundesrepublik. Das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" (Micha 4, 3) war eine originäre DDR-Erfindung. Es wurde schnell zum Markenzeichen der Friedensdekade und gilt bis heute als das Abrüstungssymbol der christlichen Friedenbewegung in Europa.

Die Friedensdekade ist Ausdruck einer gelungenen Synthese von Geistlichem und Weltlichem, von Glauben und Politik. Die Erfinder der Friedensdekade waren fromme Protestanten. Die prophetischen Friedenstexte der Bibel waren der Dreh- und Angelpunkt ihres Friedensengagements. Gegen die Vieldeutigkeit politischer Parolen und Programme bauten sie auf die biblische Friedensbotschaft. "Schwerter zu Pflugscharen" erwies sich als ein Leitmotiv, das biblische Friedensverheißung und politische Zeitansage auf wunderbare Weise verknüpfte. Lässt man die Dekaden-Themen seit 1980 Revue passieren, stößt man stets auf das gleiche Interesse: aus den Inspirationen der Bibel die gesellschaftliche und politische Situation zu deuten und Ermutigung zum Handeln für den Frieden zu gewinnen. Das sollte in der DDR große politische Wirkungen haben.

Die Initiatoren der Friedensdekade rückten 1980 Buße, neues Denken und persönliche Umkehr ins Zentrum christlicher Friedensbemühungen. Von hier aus lassen sich Verbindungslinien bis hin zum Gelingen der Friedlichen Revolution 1989 ziehen. Der ökumenische Bittgottesdienst für den Frieden zum Auftakt, die täglichen Friedensgebete und der Bußtag selbst bilden unverändert das geistliche Rückgrat jeder Friedensdekade. Sie geben dem jeweiligen Thema eine geistliche Tiefenschärfe. Die Einmischung des Glaubens in die Politik bezieht ihre Kraft aus dieser Verwurzelung.

Die Friedensdekade ist ein ökumenisches Hoffnungssymbol in Zeiten ökumenischer Stagnation. In der DDR bot die Friedensdekade katholischen Christen eine willkommene Möglichkeit, "über den Zaun zu steigen" und sich an Friedensaktivitäten der Evangelischen zu beteiligen. In der Bundesrepublik hatten sich christliche Gruppen, unter ihnen Pax Christi, schon in den 1980er Jahren zur Trägergruppe "Ökumenische Dekade für Frieden in Gerechtigkeit" zusammengeschlossen. Nach 1990 vereint das "Gesprächsforum Ökumenische Friedensdekade" alle Initiativen und Kirchen aus Ost und West in einer gemeinsamen Trägerschaft. Über die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirche in Deutschland (ACK) wirkt auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz offiziell in diesem Forum mit. Die Dekade hat endlich jene Breite und Akzeptanz erreicht, die sie von Beginn an suchte: Ost und West unter einem gemeinsamen Dach, Friedensinitiativen und Kirchen an einem Tisch, Evangelische und Katholische ökumenisch vereint. Als wirklich ökumenische Friedensdekade könnte sie heute die Rolle eines ökumenischen Katalysators spielen, vergleichbar etwa jener, die in der DDR 1988/89 der Ökumenischen Versammlung zugefallen war.

Chance für zeitgemäße Alphabetisierung

Die Friedensdekade ist eine gute Möglichkeit für nachhaltiges Lernen für den Frieden. Gäbe es sie nicht, müsste man sie erfinden. In vielen Gemeinden in Deutschland wird die Friedensdekade jedes Jahr neu als Einladung zum Lernen in Sachen Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung verstanden und genutzt. Christinnen und Christen investieren viel Zeit und Kraft, um die eigene Gemeinde, aber auch Menschen weit über die Ränder der Kirche hinaus anzusprechen. So wird die Friedensdekade zu einer Chance für zeitgemäße Alphabetisierung in Friedensfragen. Sie ist ein kostbares Instrument, das unerschöpfliche Thema Frieden immer wieder neu in unsere Köpfe und Herzen und in die Öffentlichkeit zu bringen.

Joachim Garstecki

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