Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!

"Ich musste die Briefe einfach schreiben"

Nicht aufgehört, seine Überzeugungen zu vertreten: Leben und Widerstand von Siegfried Hollenbach

Erfurt. Der gebürtige Eichsfelder Siegfried Hollenbach gehört zu den Deutschen, die in der so genannten Deutschen Demokratischen Republik, aktiv für Rechtsstaatlichkeit eintraten. Sein Widerstand hatte einen hohen Preis. Ich treffe Siegfried Hollenbach in einem Café am Erfurter Domplatz. Morgen ist der 3. Oktober, der Tag des Deutschen Einheit. Siegfried Hollenbach wird auf Einladung von Bischof Joachim Wanke am Pontifikalgottesdienst im Mariendom teilnehmen. "Wissen Sie, trotz meiner leidvollen Erfahrungen im Stasiknast ist mir Erfurt zur zweiten Heimat geworden und ganz besonders der Domberg", berichtete Hollenbach. Hier wurde er von Anfang an ernstgenommen, hier wollte man seine Geschichte hören. "Und mit dem Bischof, da bin ich auf gleicher Wellenlänge."

Siegfried Hollenbach bei seinem Besuch am 3. Oktober in Erfurt. Begleitet wurde er dabei von Martina Scholz aus Dortmund, die ihm in seiner Krankheit beisteht.

Dabei unterschied sich Siegfried Hollenbachs Leben nicht von dem anderer Bürger in der Ostzone: Schule, Berufsausbildung, Heirat, Kinder, eine Arbeitsstelle. "Dennoch, ich spürte schnell, dass in der DDR etwas nicht stimmt. Ich nahm die Unfreiheit wahr." Was aber tun? "Ich war der Ansicht, dass es gut wäre, meine Meinung auch zu sagen und so fing ich an, Briefe zu schreiben, in denen ich für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes warb, für Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte eintrat." Die Adressaten waren die Räte des Kreises und der Bezirke, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, kurz SED, deren Führungsgremien und schließlich auch Bundeskanzler Willy Brandt.

Bleibt die Frage: Wusste Siegfried Hollenbach nicht, was er tat? Waren ihm mögliche Konsquenzen nicht bekannt? "Ich habe daran überhaupt nicht gedacht, ich musste die Briefe einfach schreiben. Zudem habe ich mit niemanden über meine Aktivitäten gesprochen." Dennoch ließen die Konsequenzen nicht auf sich warten. Der mutige Eichsfelder war ins Visier der Stasi geraten. Eines Morgens - es war der 27. Mai 1970 - nach Schichtende wurde er aus seiner Gothaer Wohnung abgeholt. "Es klingelte. Die Kinder riefen ,Vati, da ist ein Mann, der will dich sprechen‘. Mir wurde mitgeteilt, dass ich verhaftet sei. Ich sagte noch, das geht nicht, ich müsse mich erst um die Kinder kümmern. Schließlich brachten sie mich nach Erfurt in das Gefängnis der Stasi in der Andreasstraße." Schnell spürte Hollenbach, dass die Stasi ihm Spionage anhängen wollte. Einer der Männer sprach nur gebrochen deutsch, vermutlich ein Vertreter des russischen Geheimdienstes. Ein anderer sagte: "Herr Hollenbach, ein Mörder ist uns lieber, der bringt nur ein oder vier Leute ums Leben, Sie aber, Sie wollen die ganze DDR vernichten. Raten Sie mal, was Ihnen dafür blüht. Ich sage es Ihnen: Wenn Sie Glück haben mindestens 20 Jahre Haft. Haben Sie Pech, die Todesstrafe."

Mit dieser Androhung begann das Gefängnismartyrium des Siegfried Hollenbach: Stundenlange Verhöre, Einzelhaft, Essensentzug, Gewalt. Einmal wurde nach ihm mit einem schweren Aschenbecher geworfen. Eine Verletzung, die er heute noch spürt. Druck übte die Stasi auch auf seine Familie aus, die Ehe wurde zwangsgeschieden. Heute sagt Hollenbach: "Die DDR hat es geschafft, dass mich meine Familie verraten hat." Schließlich musste die Stasi und die DDR-Staatsanwaltschaft einlenken, eine Anklage wegen Hochverrat ließ sich nicht aufrechterhalten. Nun hieß es: "Wegen staatsfeindlicher Hetze". Das Urteil: Zwei Jahre und drei Monate Freiheitsentzug.

In der Urteilsbegründung hieß es: "Der Angeklagte kam, begünstigt durch seine völlige politische Desintressiertheit und den Empfang westlicher Fernsehsendungen, nun zu der Überzeugung, die Gesetze der DDR seien ungerecht. Es entwickelte sich bei ihm eine ablehnende, später feindliche Grundeinstellung zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR. Aus dieser Einstellung heraus, trat der Angeklagte zum Beipiel im März 1970 als Wahlverweigerer in Erscheinung …" Weiter benannt werden in der Folge die Briefe. In der Urteilbegründung dazu: "Diese Schriften beinhalten wiederholt Lügen und Verleumdungen über angeblich durch unseren Staat … begangene ungesetzliche Handlungen. Von ihrem Aussagegehalt her sind sämtliche genannte Schriften objektiv geeignet, gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR aufzuwiegeln." Weiter benennt das Urteil "staatsfeindliche Theorien wie die Alleinvertretungsanmaßung Westdeutschlands" und wirft Siegfried Hollenbach vor, sich über "etliche Belehrungen durch Staatsfunktionäre bewusst" hinweggesetzt zu haben. Er habe sich "jeglicher sachlicher Argumentation verschlossen". All dies, so das Gericht damals, habe zu einer Strafe, die "in dieser Höhe" erforderlich sei, geführt.

Im Rahmen des Deutschen Juristentages 2008 in Erfurt wurde auch dieses Urteil vom 17. November 1970 gegen Siegfried Hollenbach dokumentiert. Der Thüringer Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen machte deutlich, dass die Urteilsfindung in der DDR gegen alle rechtsstaatlichen Grundsätze verstößt, so unter anderem dadurch, dass die Verhandlungen einen politischen Charakter hatten, aus einem ideologisch- herrschaftlich geprägten Täter-Bild erfolgten und es dem Angeklagten nicht möglich war, praktische Verteidigungsrechte wahrzunehmen.

"Für mich ist klar, mit Blick auf mein Schicksal und auf das vieler anderer, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Daran kann man nicht rütteln", betont Siegfried Hollenbach. Nach der Urteilsverkündung wurde er in Cottbus inhaftiert - "die meiste Zeit musste ich im Arrest verbringen" - bis er schließlich durch die Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt freigekauft wurde.

Seither lebt Siegfried Hollenbach im Ruhrgebiet. "Und bis 1989 unter Überwachung der Stasi. Das war doch klar, ich habe einfach nicht aufgehört, meine Überzeugungen zu vertreten und ich tue es heute genausowenig." Dass seine Stimme im Westen für die DDR ein Problem blieb, wusste Hollenbach. Erich Mielke notierte zu seinem Fall: "Nicht zurechnungsfähig und gegebenenfalls zu liquidieren."

Bis heute leidet Siegfried Hollenbach an den Folgen der Vernehmungen und der Haft. Aber er hat Kontakte zu anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben und arbeitet in Erfurt aktiv an der Aufarbeitung des DDRUnrechts mit. "Für mich ist die Deutsche Einheit erst dann verwirklicht, wenn alle Bürger, die in DDR-Haftanstalten gelitten haben, vollständig rehabilitiert sind. Und ich kann nicht verstehen, wie es sein kann, dass heute, 21 Jahre nach dem Mauerfall, noch so viele alte Stasi-Leute an Entscheidungsstellen hier in unserem vereinten Vaterland tätig sind."

Persönlich sind es der tiefe Glaube an Gott und die Unterstützung der Kirche, die Siegfried Hollenbach aufrecht erhalten. Er weiß, dass sein Widerstand nicht vergeblich war. Er hat nicht geschwiegen, hat sich nicht arrangiert. "Ich bin sehr froh, dass die Einheit Deutschlands erreicht wurde. Und ich kann sagen: Daran hast du mitgewirkt. Darauf bin ich stolz."

Von Holger Jakobi

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps