Leben mit allem was dazugehört
Christliche und ökologische Erziehung gehören im Geraer Kindergarten Perlboot zusammen
Gera. Seit zwanzig Jahren gibt es im Geraer Stadtteil Lusan einen katholischen Kindergarten. Vor zwölf Jahren zog die Einrichtung in einen naturnah errichteten Neubau. Christliche und ökologische Erziehung gehören im "Perlboot" untrennbar zusammen.
Der Meeresbewohner Nautilus pompilius (zu Deutsch: Perlboot) ist eines der letzten lebenden Fossilien. Es handelt sich um ein den Tintenfi schen verwandtes Tier, das ein in viele Kammern unterteiltes spiralförmiges Gehäuse mit sich trägt. Der Bau der Geraer Kindertagesstätte "Perlboot" orientiert sich bis in Details an der Struktur der Nautilus-Gehäuse.
Das vorwiegend aus Lehm, Holz, Kork und anderen Naturmaterialien gebaute Haus vermittelt schon im Eingangsbereich den Eindruck von Geborgenheit. Vieles ist symbolträchtig in diesem Haus, angefangen bei der Spiralform: "Das Perlboot ist kein Schneckenhaus, in das man sich zurückzieht. Esbietet Schutz, ist aber nach außen gewandt", erläutert Kindergartenleiterin Andrea Weiser. Dass sich die Erzieherinnen in manchen Winkeln klein machen müssen, sei keine planerische Panne, sondern passt zum pädagogischen Konzept: "Wir Erwachsenen wollen dem Kind entgegenkommen."
Der Umweltgedanke wird im "Perlboot" nicht in ein oder zwei jährlichen Projektwochen abgehandelt. Er durchzieht fast unmerklich den gesamten Kindergartenalltag. Bereits beim Betätigen der Klospülung geraten die Kinder damit in Berührung. Das Wasser dort kommt aus der Zisterne auf dem begrünten Dach, ist nicht gefi ltert und sieht entsprechend braun aus. Ihre Bastelideen verwirklichen die Kinder in der hauseigenen Werkstatt zumeist mit Materialien aus Wald und Garten. Ein wöchentlicher Waldtag gehört für jede Perlboot-Gruppe zum festen Programm. Hart gewordenes Brot, Obst- und Gemüsereste wandern nicht in den Abfall, sondern dienen als Futter für die drei Kindergartenziegen.
Seit zwei Jahren bauen die Erzieherinnen gemeinsam mit den Kindern an einem Gartengerätehaus. Sie stellen selbst die Lehmziegel her, mit denen sie den fertigen Fachwerkrahmen ausfüllen. Eine romantische heile Welt erleben die Kinder dabei keinesfalls. Sie nehmen wahr, dass es Zeit und Mühe braucht, etwas Neues zu schaffen. Vieles im Leben ist nicht machbar, haben sie erfahren, als sie die erste Ernte auf dem mühevoll angelegten Hochbeet erwarteten. Die Ziegen auf dem Grundstück sind nicht nur niedliche Streicheltiere. Die Kinder entfernen auch die Kotkügelchen. Dass es sich um Fleischziegen handelt, die früher oder später gegessen werden, wird ihnen nicht verheimlicht. Der Kindergarten wird keinesfalls nur von den Kindern der katholischen Gemeinde besucht. Gerade nicht christliche Eltern tun sich aber manchmal schwer mit der Offenheit der Erzieherinnen bei Themen wie Vergänglichkeit und Sterben. Sie würden ihre Kinder am liebsten davor schützen und abschirmen.
Die Schöpfung in ihrer Gesamtheit sehen
Erst kürzlich wieder wurde das deutlich. Die Vorstellung des Jahresthemas "Tore des Lebens öffnen sich" löste eine lebhafte Diskussion aus. "Uns geht es darum, das Leben in seiner Gesamtheit zu sehen, von der Geburt bis zum Tod und dazwischen mit allen Lebensabschnitten, die dazugehören", erläutert Andrea Weiser. Auch wenn sich nicht immer alle Ängste und Zweifel ausräumen lassen, fi ndet sie es gut, wenn Eltern die offene Aussprache suchen. Nicht immer völlig konfl iktfrei, aber fruchtbar für alle Beteiligten empfi ndet sie auch den Kontakt zu den Bewohnern des auf dem gleichen Grundstück angesiedelten katholischen Seniorenheims Edith Stein. "Wir wollen nicht nur das Kulturprogramm liefern", ist ihr Anliegen. Es sei für sie selbstverständlich, dass die Kinder den Senioren zu ihren Geburtstagen gratulieren. Darüber hinaus wünsche sie sich aber möglichst normale Alltagskontakte.
Ein lang gehegter Traum für die katholische Gemeinde
Gerade in der warmen Jahreszeit kommt es bereits häufi g zu spontanen Begegnungen im Garten. "Die älteren Herrschaften haben ihre Lieblinge im Blick und freuen sich an ihnen", hat Andrea Weiser beobachtet. Gute Erfahrungen gab es auch mit einer gemeinsamen Sportstunde und einem Picknick für Jung und Alt.
Für die katholische Gemeinde St. Maximilian Kolbe ist der ökologische Kindergarten kein Fremdkörper. Viele Gemeindemitglieder sehen in ihm die Verwirklichung eines lang gehegten Traums, der zu DDR-Zeiten immer wieder behindert wurde. Angefangen beim Beschaffen von Heu für die Ziegen bis hin zu gemeinsamen Festen und Feiern erfährt das "Perlboot" aus der Gemeinde vielfältige Unterstützung. Gemeinsam gefeiert wird unter anderem das Fest des Kindergartenpatrons, des heiligen Franziskus. Immer wieder besuchen auch nicht christliche Familien die katholischen Gottesdienste in der Pfarrkirche, und das nicht nur, wenn der Kindergarten einen "Auftritt" hat. "Wir versuchen den Familien, in mancherlei Hinsicht Handwerkszeug für ihr Leben mitzugeben. Was sie später einmal daraus machen, liegt nicht in unserer Hand", weiß Andrea Weiser, die von einem Team engagierter katholischer und evangelischer Erzieherinnen unterstützt wird.
Der Kindergarten hat 74 Plätze und nimmt Kinder ab drei Monaten auf - ein Umstand, der bei manchem in der Gemeinde zuerst Verwunderung auslöste. Andrea Weiser hat dazu eine klare Meinung: "Natürlich sind so kleine Kinder zu Hause am besten aufgehoben", sagt sie. "Wir können doch aber als Kirche den Leuten nicht erzählen: Ihr sollt nicht abtreiben - aber eure Kinder nehmen wir erst ab einem Jahr."
Von Dorothee Wanzek